Memoiren 1945 - 1987
üppige Speisekarte, ich dankte und bat etwas verlegen um ein Glas Wasser.
Endlich rückte der Uhrzeiger auf zwölf. Erst jetzt wurde es mir bewußt, was alles von dieser Unterredung abhing. Ich zwang mich zur Ruhe, konnte aber nicht verhindern, daß meine Finger zu zittern anfingen.
Stunde um Stunde wartete ich. Die Zeit unserer Verabredung war längst vorüber. Am liebsten hätte ich meinen Kopf auf den Tisch gelegt und losgeheult. Es schien sinnlos, noch länger zu warten. In dem Augenblick, als ich aufstehen wollte, kam ein Mann auf mich zu und fragte in gebrochenem Deutsch: «Signora Riefenstahl?» Beklommen nickte ich. Dann stellte er sich vor, ein kleiner, schmächtiger Mann von sehr heller Gesichtsfarbe, dessen Namen ich nicht mehr weiß. Er sagte: «Wir müssen Sie sehr um Entschuldigung bitten, daß wir Sie solange warten ließen. In unserer Firma hat sich ein Unglück ereignet, das uns alle betroffen hat.» Er zögerte weiterzusprechen, und mir schien, seine Gesichtsfarbe würde noch fahler. Dann fuhr er, an mir vorbeischauend, fort: «Der Geschäftsführer unserer Firma hat sich in der vergangenen Nacht erschossen. Mein Chef hat mich gebeten, Ihnen dies mitzuteilen. Er bedauert sehr, daß er Sie jetzt nicht sprechen kann.»
Der Italiener hatte längst die Hotelhalle wieder verlassen, ich saß aber noch wie versteinert an meinem Platz. Ich weiß nicht, wie lange. Manches, was dann geschah, sehe ich heute noch plastisch vor mir, anderes nur noch schemenhaft. Denke ich an diese Ereignisse in Rom zurück, so kommt es mir vor, als sähe ich einen Film, in dem ab und zu eine Reihe von Sequenzen fehlt. Ich erinnere mich nicht mehr, wie ich das Hotel verlassen habe, aber ich sehe, wie ich ziellos in den Straßen Roms herumlief, an einem Kiosk stehenblieb und mir eine italienische Zeitung kaufen wollte, bis mir bewußt wurde, daß ich nicht eine Lira hatte. Mir waren Schlagzeilen aufgefallen, die in großen Buchstaben den Namen der italienischen Filmfirma nannten, mit der ich verhandeln sollte. Und da las ich «morti» — das einzige Wort, das ich verstand. Das mußte der Selbstmord sein, von dem auch ich betroffen war. Ich lief weiter, noch immer ganz benommen, in Richtung Via Barberini. Dort befand sich das Büro von Panone. Plötzlich zuckte ich zusammen. Jemand hatte mich angesprochen, mit meinem vollen Namen. Ich sah in das lachende Gesicht einer fremden Frau und hörte sie sagen: «Wie schön, daß ich Sie hier treffe, wie lange bleiben Sie in Rom?»
Verlegen zuckte ich die Achseln. Ich kannte die Dame nicht und sagte nur: «Ich weiß es nicht.»
«Möchten Sie nicht ein paar Tage mein Gast sein? Wir würden uns so freuen.» Impulsiv nahm sie mich am Arm und sagte: «Auf jeden Fall nehme ich Sie jetzt mit zum Tee, diese Gelegenheit darf ich mir nicht entgehen lassen.»
Widerstandslos ließ ich mich zu ihrem Auto führen.
Während der Fahrt erzählte sie mir, daß sie seit Jahren eine große Bewunderin meiner Filme wäre und daß sie mich noch als Tänzerin kannte. Sie selbst hatte in München Tanz studiert. Deshalb sprach sie ein fast akzentfreies Deutsch. Das Auto kletterte die Via Aurelia Antica, eine steile und kurvenreiche Straße, hinauf, bis wir uns hoch über Rom befanden. Der Wagen hielt vor einem großen Eisentor, hinter dem, fast versteckt, ein altes romantisches Schlößchen lag, von hohen Pinien umgeben.
«Wohnen Sie hier?»
«Ja», sagte sie lächelnd, «es wird Ihnen gefallen.»
Bevor wir den Garten betraten, blieb ich einen Augenblick stehen, um auf das unter uns liegende Rom zu schauen — wie herrlich schön war diese Stadt! Ich hatte sie vom ersten Augenblick an geliebt. Im Hause wurden wir von Gästen begrüßt, und nun erfuhr ich auch den Namen der Gastgeberin. Es war die Baronesse Myrjan Blanc, eine in Rom bekannte Persönlichkeit.
Der Tee wurde im Innenhof des Schlosses serviert. Endlich konnte ich etwas essen. Ich versuchte, meinen Heißhunger zu verbergen. Meine Augen sahen entzückt bunte Vögel und tropische Blumen, an den Säulen und alten Mauern rankten sich grüne Pflanzen. Auf einem Liegestuhl lag lässig, eine Zigarette rauchend, eine junge Frau, deren Alter ich nicht schätzen konnte — auffallend waren ihre durchtrainierten überlangen Beine. Diese aparte Frau war Maja Lex, eine auch in Deutschland bekannte Tänzerin. Dann war da noch eine dritte Dame, die deutsch sprach, Frau Günther, Leiterin einer bekannten
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