Memoiren 1945 - 1987
Tanzschule in München, Lehrerin von Maja Lex und Myrjan Blanc.
Welch ein Gegensatz! Nach allem, was ich in diesen Jahren erlebt hatte, gab es hier anscheinend eine heile, schöne Welt. Diese Atmosphäre fing mich ein, und dankbar nahm ich die Einladung der Baronesse an, einige Tage ihr Gast zu sein.
Es war alles wie in einem Traum.
Mein Doppelleben
N un genoß ich schon seit einer Woche die Gastfreundschaft der Baronesse. In dieser Zeit führte ich ein seltsames Doppelleben. Einerseits lebte ich fürstlich, hatte ein schönes Zimmer mit antiken Möbeln, ein großes modernes Bad, mit sizilianischen Fliesen ausgelegt, und wurde mit italienischen Köstlichkeiten verwöhnt. Andererseits konnte die Baronesse nicht ahnen, daß ich arm wie ein Aschenbrödel war. Sie wußte nicht, wie es mir in den Stunden erging, wenn ich mich allein in Rom zurechtfinden mußte. Fast täglich, wenn sie mit ihrem Auto in die Stadt fuhr, wo sie ihre Einkäufe erledigte und ihre Besuche machte, nahm sie mich mit. Wir trafen uns dann meist an der «Spanischen Treppe», wo sie mich nachmittags, manchmal aber auch erst am Abend, abholte. In der Zwischenzeit war ich allein auf mich angewiesen. Das Laufen auf den Pflastersteinen war ermüdend, Geld für einen Bus hatte ich nicht. Ganz schlimm wurde es, wenn die Mittagszeit herankam und ich hinter den Scheiben die Leute sah, wie sie ihre Pasta aßen oder genüßlich Eiscremes und Kuchen verzehrten.
Abends im Schlößchen beim Dinner, meist wurde erst gegen 22 Uhr gegessen, wurde mir das Groteske meiner Situation erst recht bewußt. An der mit Kerzen und Blumen festlich geschmückten Tafel fühlte ich mich nicht wohl. Wie in einer Filmszene kam mir der gepflegte grauhaarige Diener vor, der mit weißen Handschuhen servierte.
In den ersten Tagen war ich von dieser romantischen, luxuriösen Atmosphäre fasziniert, aber nun begann sie, mich von Tag zu Tag mehr zu belasten. Ich wollte heim zu meiner Mutter. Das Problem war, daß ich wohl eine Rückfahrkarte ab Cortina, nicht aber ab Rom hatte. Mir fehlten ungefähr fünfzig Mark, und ich wagte niemanden darum zu bitten.
Mein altes Leiden überfiel mich von neuem und zwang mich, einige Tage im Bett zu bleiben. Myrjan — wir duzten uns inzwischen — sprach von einem Arzt, der mir vielleicht helfen könnte.
Ein ungewöhnlicher Arzt
N ach wenigen Tagen lernte ich diesen Arzt kennen. Myrjan hatte ihn mit anderen Gästen eingeladen. Es wurde ein ganz besonderer Abend. Einmal brachte er mir die Bekanntschaft des Arztes, der eine Persönlichkeit war, und dann erlebte ich Carl Orff, den berühmten Komponisten, der uns auf dem Flügel seine neuesten Kompositionen vortrug. Unter den Gästen befand sich auch Edda Ciano, die Tochter Mussolinis, eine Freundin von Myrjan Blanc. Sie hatte den Arzt mitgebracht, der, wie ich erfuhr, der Hausarzt der königlichen italienischen Familie war.
Sein ursprünglicher Name war Dr. Stückgold, ein gebürtiger Deutscher, der 1928 nach Italien gekommen war und sich seitdem Stuccoli nannte. Hier war er zu Ruhm und Ansehen gelangt. In Berlin hatte er seine Praxis am Wedding gehabt. Seine Klienten waren Dirnen, Zuhälter und Arbeiter. Brillant schilderte er das Milieu dieser Menschen. Er war ein ausgezeichneter Erzähler. Professor Stuccoli erklärte sich bereit, mich zu behandeln. Schon am nächsten Vormittag war ich in seiner Praxis. Es war ein großer Raum mit sehr hohen Wänden wie in einer Bibliothek, von oben bis unten mit Bücherregalen bedeckt. Der Professor, ein Mann von hünenhafter Gestalt, saß vor einem schweren antiken Schreibtisch. Nichts erinnerte an einen Arzt, kein einziger Gegenstand.
Geduldig hörte er sich meine lange Krankheitsgeschichte an und las in den Unterlagen, die ich mitgebracht hatte. Als er bemerkte, daß ich mich vor einer schmerzhaften Untersuchung fürchtete, lächelte er und sagte: «Ich brauche Sie nicht zu untersuchen. Ihr Krankheitsbild ist mir klar. Sie haben eine weit fortgeschrittene chronische Zystitis, die mit den üblichen Behandlungsmethoden nicht mehr geheilt werden kann. Es gibt nur eine Möglichkeit, diese Krankheit zum Stillstand zu bringen und Sie vor den schmerzhaften Koliken zu bewahren. Aber diese Behandlung ist gefährlich, und nur Sie allein können die Entscheidung treffen, ob Sie das Risiko eingehen wollen.» Gespannt fragte ich den Arzt, worin die Gefahren bestünden und was ich tun müßte.
Er sagte: «Ein Teil Ihrer Blase ist
Weitere Kostenlose Bücher