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Memoiren einer Tochter aus gutem Hause

Memoiren einer Tochter aus gutem Hause

Titel: Memoiren einer Tochter aus gutem Hause Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone de Beauvoir
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beglückwünschte mich jedoch dazu; ich hätte nur schlecht ertragen, dass eine andere mit der gleichen Hingebung wie ich die Worte und das Lächeln meines Helden entgegennahm. Ich hätte gern alles von ihm kennen mögen. Durch meine Kindheit war ich an die Technik der Meditation gewöhnt; ich wendete sie an, um mir möglichst das vorzustellen, was ich mit einem Ausdruck, den ich von ihm hatte, seine ‹innere Landschaft› nannte; aber ich musste mit sehr mageren Hinweisen arbeiten: seinen Vorlesungen und den etwas hastig niedergeschriebenen Kritiken, die er in der
Revue des Jeunes
veröffentlichte; im Übrigen war ich oft zu unwissend, um aus ihnen Nutzen zu ziehen. Es gab einen Schriftsteller, den Garric gern zitierte: Péguy; wer war das? Wer war dieser Gide, dessen Namen er eines Nachmittags fast heimlich und als wolle er sich mit einem Lächeln für seine Kühnheit entschuldigen, ausgesprochen hatte? Nach dem Unterricht ging er in das Arbeitszimmer von Mademoiselle Lambert: Was hatten die beiden einander zu sagen? Würde ich eines Tages würdig sein, mit Garric von Gleich zu Gleich zu sprechen? Ein- oder zweimal verfiel ich in Träumerei. ‹Mädchen wie du, Hellé, sind dazu gemacht, die Gefährtinnen von Helden zu werden.› Ich überschritt die Place Saint-Sulpice, als diese entlegene Prophezeiung mich in dem feuchten Abend jäh wie ein Blitz durchfuhr. Hatte Marcelle Tinayre mein Horoskop gestellt? Nachdem Hellé zuerst für einen müßigen reichen jungen Dichter etwas empfunden hatte, erlag sie den Tugenden eines Apostels mit großem Herzen, der sehr viel älter war als sie. Die Verdienste Garrics stellten heute in meinen Augen den Charme von Jacques in den Schatten. War ich meinem Geschick begegnet? Ich wagte nur schüchtern mit solchen Vorzeichen zu spielen. Ein verheirateter Garric war etwas Unvorstellbares. Ich wünschte mir einzig, ein wenig für ihn zu existieren. Ich verdoppelte meine Bemühungen, seine Achtung zu erringen, und hatte Erfolg damit. Eine Arbeit über Ronsard, die Interpretation des
Sonnet à Hélène
, ein Vortrag über D’Alembert trugen mir berauschende Lobsprüche ein. Von Zaza gefolgt, nahm ich jetzt den ersten Platz in seinem Kursus ein, und Garric forderte uns auf, uns gleich beim nächsten Märztermin für die Literaturprüfung anzumelden.
    Obwohl Zaza sie nicht in ihrer ganzen Heftigkeit kannte, fand sie meine Bewunderung für Garric doch übertrieben; sie arbeitete mit Maßen, ging hin und wieder aus und widmete ihrer Familie eine Menge Zeit; sie verließ die alten, gewohnten Bahnen nicht; den Ruf, auf den ich mit so großem Fanatismus antwortete, hatte sie nicht vernommen: Ich löste mich innerlich ein wenig von ihr los. Nach den Weihnachtsferien, die sie im Baskenlande verbracht hatte, verfiel sie in seltsame Apathie. Sie nahm mit erloschenem Blick an den Vorlesungen teil, lachte und redete kaum; da sie ihrem eigenen Leben gleichgültig gegenüberstand, fand auch das große Interesse, das ich dem meinen entgegenbrachte, keinerlei Echo bei ihr. «Alles, was ich wünschte, wäre, einzuschlafen und nie wieder aufzuwachen», sagte sie eines Tages zu mir. Ich maß dem keine Wichtigkeit bei. Zaza hatte immer von Zeit zu Zeit Anfälle von Pessimismus gehabt; ich schrieb sie ihrer Furcht vor der Zukunft zu. Dieses Studienjahr bedeutete nur einen Aufschub für sie, das Geschick, das sie fürchtete, rückte immer näher heran, und wahrscheinlich fühlte sie in sich weder die Kraft, ihm zu widerstehen, noch, sich darein zu ergeben: Darum sehnte sie sich nach dem Frieden des Schlafes. Ich machte ihr insgeheim ihren Defaitismus zum Vorwurf: Er schloss bereits, meinte ich, eine Abdankung ein. Sie ihrerseits sah in meinem Optimismus einen Beweis, dass ich mich leicht der bestehenden Ordnung füge. Alle beide von der Welt abgeschnitten, Zaza durch ihre Verzweiflung und ich durch eine wahnwitzige Hoffnung, lebten wir in Einsamkeiten, die eine wirkliche Verbundenheit zwischen uns verhinderten; im Gegenteil, wir begannen in unbestimmter Weise einander zu misstrauen, und immer tieferes Schweigen breitete sich zwischen uns aus.
    Was meine Schwester anbetraf, so war sie in diesem Jahr glücklich; sie bereitete sich mit Glanz auf ihr Abiturium vor: Im Cours Désir war man zufrieden mit ihr. Sie hatte eine neue Freundin, die sie sehr liebte; dann und wann machte sie sich Sorgen um mich, und ich vermutete, dass auch sie in naher Zukunft eine friedliche kleine Bourgeoise werden würde. «Für

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