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Memoiren einer Tochter aus gutem Hause

Memoiren einer Tochter aus gutem Hause

Titel: Memoiren einer Tochter aus gutem Hause Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone de Beauvoir
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im Frieden des Herzens und nicht in Zerrissenheit erreichen. Erschöpft von Tränen und innerer Öde, setzte ich jetzt mit kühnem Schwung mein Leben auf diese Chance. Ich erwartete fieberhaft die Heimkehr nach Paris, und im Zuge pochte mir ungeduldig das Herz.
    Als ich mich aber in der Wohnung mit dem angeblichen Moquette befand, kam ich jäh wieder zu mir. Ich war nicht bei Jacques gelandet, sondern zu Hause; zwischen diesen Wänden würde ich ein weiteres Jahr verbringen. Mit einem Blick erfasste ich die Folge der Tage und der Monate: Welche Einöde lag vor mir! Mit den alten Freundschaften, Kameraderien und Vergnügungen hatte ich aufgeräumt; Garric war mir verloren; Jacques würde ich bestenfalls zwei- oder dreimal jeden Monat sehen, und nichts berechtigte mich dazu, von ihm mehr zu erwarten, als er mir gegeben hatte. Ich würde also von neuem das trostlose Erwachen an jedem Morgen erleben, der keine Freude kündete; am Abend würde dann der Mülleimer folgen, den es auszuleeren galt; Müdigkeit und Langeweile, sonst nichts. In der Stille der Kastanienwälder war der Rausch des Fanatismus, der mich im letzten Jahr noch aufrechterhalten hatte, vollends untergegangen; alles würde von neuem anfangen außer dieser Art von Wahn, der mir immerhin ermöglicht hatte, alles zu ertragen.
    Ich war so erschreckt, dass ich auf der Stelle zu Jacques eilen wollte: Er allein konnte mir helfen. Die Gefühle meiner Eltern ihm gegenüber waren, wie ich bereits sagte, eher zwiespältiger Natur. An diesem Vormittag nun verbot mir meine Mutter einen Besuch bei ihm; sie zog dabei heftig gegen ihn und den Einfluss zu Felde, den er auf mich gewonnen habe. Ich wagte noch nicht, ernstlich ungehorsam zu sein noch ausgesprochen zu lügen. Noch immer zeigte ich meiner Mutter jeweils meine Pläne an; am Abend erstattete ich ihr über den Verlauf meiner Tage Bericht. Ich begab mich also wieder ins Joch, doch ich erstickte vor Zorn und vor allem vor Kummer. Wochenlang hatte ich leidenschaftlich auf diese Begegnung gewartet, nun aber genügte eine Laune meiner Mutter, um mich darum zu bringen. Mit Grauen wurde ich mir meiner Abhängigkeit bewusst. Nicht nur war ich zum Exil verdammt, sondern man gewährte mir auch nicht die Freiheit, gegen die Unfruchtbarkeit meines Geschickes zu kämpfen; meine Handlungen, meine Gebärden, meine Worte, alles wurde kontrolliert; man spionierte meinen Gedanken nach, und ein einziges Wort konnte die Pläne zum Scheitern bringen, an denen mir mehr als an allem lag: Einspruch dagegen gab es nicht. Im vorigen Jahre hatte ich mich, so gut es ging, meinem Schicksal anbequemt, weil ich mit Staunen die großen Wandlungen konstatierte, die sich in mir vollzogen; jetzt aber, da dieses Erlebnis hinter mir lag, sank ich in die alte innere Not zurück. Ich war anders geworden und hätte rings um mich her auch eine andere Welt gebraucht. Aber was für eine Welt? Was wünschte ich mir im Grunde? Ich vermochte sie mir nicht einmal in der Phantasie auszumalen. Diese Passivität brachte mich zur Verzweiflung. Ich konnte nur warten. Wie lange aber? Drei Jahre, vier Jahre? Das ist lange, wenn man achtzehn Jahre alt ist. Und wenn ich sie geknebelt im Gefängnis verbrachte, so würde ich mich, wenn ich wieder herauskam, immer noch ebenso einsam, liebelos, ohne Glut, ohne alles fühlen. Ich würde in der Provinz Philosophiekurse halten: Was aber kam für mich dabei heraus? Schreiben? Meine Versuche aus Meyrignac taugten nicht eben viel. Wenn ich dieselbe bliebe, immer weiter dem gleichen Trott, derselben Routine überlassen, käme ich niemals voran; niemals würde ein Werk mir gelingen können. Nein, von keiner Seite her schien ein Lichtlein zu kommen. Zum ersten Mal in meinem Dasein dachte ich allen Ernstes, dass ich lieber tot als lebendig wäre.
    Nachdem eine Woche vergangen war, bekam ich die Erlaubnis, Jacques zu besuchen. Als ich vor seiner Tür stand, wurde ich von Panik erfasst: Er war meine einzige Hoffnung, und ich wusste nichts weiter von ihm, als dass er auf meinen Brief keine Antwort gegeben hatte. War er über ihn gerührt oder verärgert gewesen? Wie würde er mich empfangen? Ich kreiste einmal, zweimal vollkommen ratlos um den Häuserblock. Die in die Wand eingelassene Schelle hatte etwas Erschreckendes für mich: Sie schien mir die gleiche falsche Harmlosigkeit an sich zu haben wie das schwarze Loch, in das ich als Kind unvorsichtigerweise meinen Finger steckte. Endlich drückte ich auf den Knopf. Wie gewöhnlich

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