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Memoiren einer Tochter aus gutem Hause

Memoiren einer Tochter aus gutem Hause

Titel: Memoiren einer Tochter aus gutem Hause Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone de Beauvoir
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ging die Tür automatisch auf, und ich stieg die Treppe empor. Jacques begrüßte mich lachend, ich nahm auf dem roten Sofa Platz. Er reichte mir einen Briefumschlag, auf dem mein Name stand. «Sieh hier», sagte er, «ich habe es dir nicht geschickt, weil ich besser fand, es bliebe ganz unter uns.» Er war bis unter die Augen rot geworden. Ich öffnete den Brief. Als Motto stand darüber: ‹Geht dies hier dich an?› Er beglückwünschte mich dazu, dass ich keine Angst vor Lächerlichkeit hatte, er habe es mir schon oft gesagt; ‹an heißen, einsamen Nachmittagen› habe er an mich gedacht. Er erteilte mir Ratschläge. ‹Du würdest deine Umgebung weniger schockieren, wenn du menschlicher wärest; außerdem ist es die stärkere Haltung, ich möchte fast sagen, die stolzere …›. ‹Das Geheimnis des Glücks und der Gipfel der Kunst besteht darin, zu leben wie alle Welt und doch wie kein anderer zu sein.› Er schloss mit dem folgenden Satz: ‹Bist du bereit, in mir deinen Freund zu sehen?› Eine riesige Sonne ging gleichsam in meinem Herzen auf. Doch dann begann Jacques in kleinen, abgehackten Sätzen zu sprechen, und die Dämmerung sank wieder herab. So gehe es nicht, sagte er mir, so gehe es einfach nicht. Er sei in der Patsche, er wisse nicht mehr, was tun; er hatte geglaubt, wirklich jemand zu sein: Er glaubte es nicht mehr; er verachtete sich selbst; er wusste nicht mehr, was er mit sich anfangen sollte. Ich hörte ihn an, durch seine Demut gerührt, entzückt durch sein Vertrauen, bedrückt durch seine Niedergeschlagenheit. Mit brennendem Herzen verließ ich ihn. Ich setzte mich auf eine Bank, um das Geschenk, das er mir gemacht hatte, zu berühren, es nochmals anzusehen: ein Blatt eines schönen, starken Papiers mit spitzen Ecken, auf dem violette Schriftzeichen standen. Einige seiner Ratschläge setzten mich in Erstaunen: Ich kam mir nicht unmenschlich vor; ich legte es nie darauf an, andere zu schockieren; wie alle Welt zu leben verlockte mich nicht; aber ich war tief gerührt, dass er für mich diese schön ausgewogenen Sätze niedergeschrieben hatte. Wieder und wieder las ich die Eingangsworte: ‹Geht dies hier dich an?› Sie legten deutlich Zeugnis davon ab, dass Jacques mehr an mir hing, als er es mich bisher hatte merken lassen; doch auch noch etwas anderes wurde mir offenbar: Jacques liebte mich nicht; sonst hätte er nicht in einen solchen Sumpf der Ratlosigkeit versinken können. Ich fand mich schnell damit ab; mein Irrtum wurde mir sonnenklar: Es war ganz unmöglich, Liebe mit Unruhe zu vereinen. Jacques selbst rief mich zur Wahrheit zurück; das trauliche Nebeneinander unter der Lampe, Flieder und Rosen waren nicht für uns. Wir waren zu hellsichtig und zu anspruchsvoll, um uns in der falschen Sicherheit der Liebe auszuruhen. Niemals würde Jacques sein angstvolles Suchen beenden. Er hatte die Verzweiflung bis zum Ende ausgekostet, so weit, dass sie bei ihm beinahe zum Abscheu gegen sich selber wurde: Ich musste ihm folgen auf diesem rauen Pfad. Ich rief Alissa und Violaine zu Hilfe und versenkte mich tief in das Gefühl des Verzichts. ‹Ich werde niemals jemand anderen lieben, aber zwischen uns kann Liebe nicht sein›, entschied ich bei mir. Ich verleugnete die Überzeugung nicht, die sich mir während der Ferien aufgedrängt hatte: Jacques war mein Schicksal. Aber die Gründe, weshalb ich mein Los mit dem seinen verknüpfte, schlossen aus, dass er mir das Glück entgegentrug. Ich hatte eine Rolle in seinem Leben: Sie bestand aber nicht darin, ihn zur Ruhe einzuladen; ich musste seine Mutlosigkeit bekämpfen und ihm dabei helfen, sein Streben weiterzuverfolgen. Ich machte mich auf der Stelle ans Werk. Ich schrieb ihm einen neuen Brief, in dem ich ihm Gründe zum Leben aufzeigte, die ich den besten Autoren entnahm.
    Es war normal, dass er mir nicht antwortete, da wir ja beide wünschten, dass unsere Freundschaft ‹unter uns› bliebe. Dennoch verzehrte ich mich in Ungeduld. Als wir in der Familie bei ihm zu Abend aßen, spähte ich den ganzen Abend nach einem verständnisvollen Aufblitzen in seinen Augen: umsonst. Er gab auf extravagantere Art als sonst den Spaßmacher für uns ab: «Du hörst wohl niemals auf, den Clown zu spielen!», sagte seine Mutter lachend zu ihm. Er wirkte so sorglos und, wie mir schien, so gleichgültig, dass ich gewiss sein zu können glaubte, ich hätte diesmal nicht das Richtige getroffen: Offenbar hatte er mit gereizten Gefühlen die Abhandlung gelesen,

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