Memoiren einer Tochter aus gutem Hause
Flandin machte diese beiläufig die Bemerkung: «Du würdest gar nicht mehr du sein, wenn du nicht arbeitetest.» Jacques blickte mich zärtlich an. «Ich hoffe, sie würde es auch dann noch sein.» Ich aber dachte: ‹Ich habe unrecht zu zweifeln: Er liebt mich.› In der nächsten Woche, als ich bei ihm zu Abend aß und wir gerade einen Augenblick allein waren, teilte er mir in einer kurzen Nebenbemerkung mit, dass er aus seinen Schwierigkeiten heraus sei, aber auf dem besten Wege zu sein fürchte, ein richtiger Bourgeois zu werden. Dann, gleich nach dem Essen, ging er fort. Ich erfand Entschuldigungen für ihn, doch keine überzeugte mich: Er würde nicht fortgegangen sein, wenn er Wert auf mich legte. Legte er ernstlich auf etwas Wert? Entschieden kam er mir unbeständig, wetterwendisch vor; er verlor sich in kleinen Freundschaften und kleinen Ärgerlichkeiten; er sorgte sich nicht um Probleme, die mich ernsthaft quälten; er war von geistigen Dingen zu wenig überzeugt. Von neuem verfiel ich in meine Zweifel: ‹Werde ich mich niemals von ihm loslösen können, wo ich mich doch so oft in Auflehnung gegen ihn befinde? Ich liebe ihn, ich liebe ihn unvernünftigerweise: und weiß doch nicht einmal, ob er für mich geschaffen ist.›
Tatsache ist, dass zwischen Jacques und mir sehr viele Verschiedenheiten bestanden. Als ich Mitte des Herbstes mein Porträt entwarf, hielt ich als Erstes fest, was ich als meinen Ernst bezeichnete: ‹Ein strenger, kompromissloser Ernst, für den ich den Grund nicht recht weiß, dem ich mich aber wie einer überwältigenden Notwendigkeit unterwerfe.› Von Kindheit an hatte ich mich immer als ein Ganzes, als ein zum Extremen neigendes Wesen gezeigt und war stolz darauf. Die anderen blieben in ihrem Glauben oder ihrer Skepsis, in ihren Wünschen, ihren Plänen auf halbem Wege stehen. Ihre Lauheit schien mir verachtenswert. Ich selbst verfolgte meine Gefühle, meine Ideen und Unternehmungen bis zum Äußersten; es gab nichts, was ich leichtnahm; und wie schon in früher Jugend wollte ich, dass mein ganzes Leben durch eine Art von Notwendigkeit sich gerechtfertigt fände. Dieser Eigensinn beraubte mich, darüber war ich mir klar, gewisser Vorzüge, aber es war keine Rede davon, dass ich mich je von ihm trennte; mein Ernst war ‹ganz und gar ich›, und ich legte sehr großen Wert auf ihn.
Ich machte Jacques aus seiner Ungezwungenheit, seiner Neigung zu Paradoxen, den elliptischen Bahnen, die er einzuschlagen liebte, keinen wirklichen Vorwurf; ich hielt ihn für künstlerischer, empfindsamer, spontaner und begabter als mich selbst; augenblicksweise ließ ich in mir den Mythos von Theagen und Euphorion wiederaufleben und war durchaus bereit, die ihm innewohnende Grazie meinen Verdiensten durchaus überzuordnen. Während ich aber einstmals an Zaza nichts zu kritisieren fand, störten mich bei Jacques bestimmte Züge: ‹Seine Neigung zu Formeln; Begeisterungsstürme, die für ihr Objekt zu gewaltig sind; seine gelegentlich etwas affektierte Verachtung.› Es fehlte ihm an Tiefe, an Beharrlichkeit und manchmal – was mir schwerer zu wiegen schien – auch an Aufrichtigkeit. Es kam vor, dass mich seine Art, sich zu entziehen, reizte; außerdem hatte ich manchmal den Verdacht, dass er seine Skepsis als Vorwand benutzte, um auch noch der kleinsten Anstrengung zu entkommen. Er klagte darüber, dass er an nichts glaubte; ich bemühte mich eisern, ihm Ziele vorzustellen; es kam mir begeisternd vor, wenn man an seiner eigenen Entwicklung und Bereicherung tätig war; in diesem Sinne verstand ich die Lehre Gides: ‹Aus sich ein unersetzliches Wesen machen›; wenn ich sie aber Jacques ins Gedächtnis rief, zuckte er die Achseln: «Dazu braucht man sich nur zu Bett zu legen und zu schlafen.» Ich drängte ihn zu schreiben; ich war sicher, er könne, wenn er nur wolle, schöne Bücher verfassen. «Wozu?», antwortete er mir. Allen meinen Vorschlägen setzte er dies kleine Wort entgegen. ‹Jacques versteift sich darauf, im Absoluten zu bauen; er sollte Kant praktizieren; in seiner bisherigen Richtung kommt er zu nichts›, notierte ich eines Tages naiv. Dennoch ahnte ich wohl, dass Jacques’ Haltung nichts mit Metaphysik zu tun hatte, und beurteilte sie gemeinhin streng; Trägheit, Planlosigkeit, Wankelmütigkeit waren mir verhasst. Bei ihm hingegen verspürte ich, dass ihn manchmal meine Redlichkeit reizte. Eine Freundschaft konnte mit diesen Unstimmigkeiten freilich fertigwerden, doch teilten
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