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Memoiren einer Tochter aus gutem Hause

Memoiren einer Tochter aus gutem Hause

Titel: Memoiren einer Tochter aus gutem Hause Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone de Beauvoir
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viel Geld verdienen. Die Mabilles hatten vor, in eine luxuriöse Wohnung in der Rue de Berri zu ziehen; sie hatten ein Auto gekauft und würden künftig Veranlassung haben, sehr viel mehr als früher auszugehen und Gäste bei sich zu sehen. Zaza schien von der Aussicht nicht sehr entzückt; sie äußerte sich mir gegenüber voller Ungeduld über das mondäne Leben, zu dem man sie neuerdings zwang; ich konnte mir allerdings vorstellen, dass sie, wenn sie dauernd zu irgendeiner Hochzeit, einer Beerdigung, einer Taufe, einer Erstkommunion, einem Tee, einem Lunch, einem Wohltätigkeitsbasar, zu irgendwelchen Familienfesten, Verlobungsfeiern oder Tanzveranstaltungen gehen musste, das nicht gerade frohen Herzens tat; sie beurteilte ihr Milieu ebenso streng wie schon in der Vergangenheit, aber es schien sogar noch mehr auf ihr zu lasten. Vor den Ferien hatte ich ihr einige Bücher geliehen; sie sagte mir, sie habe viel über sie nachgedacht;
Le Grand Meaulnes
hatte sie dreimal gelesen: Niemals hatte ein Roman sie so tief bewegt. Sie schien mir plötzlich sehr nahe, und ich sprach auch zu ihr ein wenig über mich selbst: In sehr vielen Punkten war sie ganz der gleichen Meinung wie ich. ‹Ich habe Zaza wiedergefunden!›, sagte ich mir voll Freude, als ich sie gegen Abend verließ.
    Wir nahmen die Gewohnheit an, alle Sonntagnachmittage zusammen spazieren zu gehen. Weder unter ihrem Dach noch unter dem meinigen wäre ein intimes Gespräch für uns möglich gewesen; der Gebrauch von Cafés aber lag uns vollkommen fern. «Was machen nur alle die Leute dort? Haben sie kein Zuhause?», fragte mich Zaza einmal, als wir am ‹Café de la Régence› vorübergingen.
    Wir wanderten also in den Alleen des Luxembourggartens und in den Champs-Élysées auf und ab. Wenn es schön war, setzten wir uns auf die Eisenstühle am Rande einer Rasenfläche. Bei Adrienne Monnier liehen wir uns die gleichen Bücher aus; wir lasen mit Leidenschaft den Briefwechsel zwischen Alain-Fournier und Jacques Rivière. Sie selbst zog Fournier bei weitem vor; mich jedoch gewann Rivière durch sein methodisches Streben, alles an sich zu bringen. Wir diskutierten, wir kommentierten unser Alltagsdasein. Zaza hatte ernste Schwierigkeiten mit Madame Mabille, die ihr vorwarf, sie widme dem Lernen, der Lektüre, der Musik zu viel Zeit und vernachlässige ihre ‹gesellschaftlichen Verpflichtungen›; die Bücher, die Zaza liebte, erschienen ihr höchst bedenklich; sie machte sich Sorgen deswegen. Zaza hegte für ihre Mutter die gleiche Ergebenheit wie früher und konnte nicht ertragen, ihr Kummer zu bereiten. «Dennoch gibt es Dinge, auf die ich nicht verzichten will!», teilte sie mir mit angstvoll bebender Stimme mit. Sie fürchtete für die Zukunft noch schwerere Konflikte. Dadurch, dass sie von einer Begegnung mit jungen Leuten zur anderen geschleppt wurde, würde wohl Lili, die bereits dreiundzwanzig Jahre alt war, schließlich unter die Haube kommen; dann aber würde man daran denken, Zaza zu verheiraten. «Ich lasse nicht einfach über mich bestimmen», sagte sie zu mir. «Sicher werde ich aber gezwungen sein, mich mit Mama zu streiten!» Ohne zu ihr von Jacques oder von meiner religiösen Entwicklung zu sprechen, sagte auch ich ihr eine Menge Dinge. An dem Tage nach der Nacht, die ich im Anschluss an ein Abendessen mit Jacques in Tränen verbracht hatte, fühlte ich mich außerstande, mich bis zum Abend allein hinzuschleppen; ich ging und schellte bei Zaza; sobald ich ihr gegenübersaß, brach ich in Schluchzen aus. Sie war so bestürzt, dass ich ihr alles erzählte.
    Den größten Teil meiner Tage brachte ich wie gewöhnlich über meiner Arbeit zu. Mademoiselle Lambert hielt in diesem Jahre Vorlesungen über Logik und Philosophie, und ich begann mich auf Prüfungen in beiden Fächern vorzubereiten. Ich war zufrieden, zur Philosophie zurückzukehren. Ich erlag noch immer so sehr wie in meiner Kindheit einem Gefühl der Fremdheit auf dieser Erde, von der ich nicht wusste, woher sie kam oder wohin sie ging. Ich dachte oft mit dumpfem Staunen daran, und in meinem Tagebuch stellte ich mir Fragen; es kam mir vor, als sei man das Opfer ‹eines an sich kindlichen Taschenspielertricks, den man gleichwohl absolut nicht errät›. Ich hoffe, wo nicht ihn zu durchschauen, so doch wenigstens der Lösung näher zu kommen. Da ich als einziges Gepäck bei mir führte, was Abbé Trécourt uns gelehrt hatte, begann ich mich mühsam durch die Systeme von Descartes und

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