Memoiren einer Tochter aus gutem Hause
sie der Aussicht auf ein gemeinsames Leben etwas Beängstigendes mit.
Ich hätte mich nicht so sehr beunruhigt, wenn ich bei uns nur einen Gegensatz der Charaktere festgestellt hätte; aber ich war mir klar darüber, dass etwas anderes dabei im Spiele war: die ganze Orientierung unserer Existenz. An dem Tage, an dem er das Wort Heirat aussprach, dachte ich lange darüber nach, was uns eigentlich trennte: ‹Schöne Dinge zu genießen genügt ihm; er findet an Luxus und leichtem Leben hinlängliches Gefallen, er liebt das Glück. Ich aber brauche ein Leben, das mich verzehrt. Ich habe das Bedürfnis zu handeln, mich auszugeben, mich zu verwirklichen; ich muss ein Ziel haben, das ich erreichen will, Schwierigkeiten, die es zu überwinden, ein Werk, das es zu vollenden gibt. Ich bin nicht für den Luxus gemacht. Niemals kann ich an dem Genüge finden, was ihm genügt.›
Der Luxus des Hauses Laiguillon hatte nichts Überwältigendes; was ich tatsächlich ablehnte und worauf gefügig einzugehen ich Jacques zum Vorwurf machte, war die bürgerliche Lebensform. Unser Einverständnis beruhte auf einem Missverständnis, aus dem sich auch die ungleichmäßigen Reaktionen meines Herzens erklären. In meinen Augen hob sich Jacques dadurch aus seiner Klasse heraus, dass er zu den ‹Unruhevollen› gehörte: Ich machte mir nicht klar, dass die Unruhe eben die Art und Weise vorstellte, wie diese Bourgeoisgeneration sich selbst zu finden versuchte; jedoch empfand ich, dass Jacques an dem Tage, an dem eine Heirat ihn von solchen Bemühungen dispensierte, mit seiner Rolle eines jungen Firmenchefs und Familienoberhauptes genau identisch sein würde. In Wirklichkeit wünschte er sich nichts anderes, als eines Tages mit Überzeugung den Part zu übernehmen, der ihm durch seine Geburt zugewiesen war; er zählte dabei auf die Ehe wie Pascal auf das Weihwasser, um den Glauben zu erwerben, der ihm bislang noch fehlte. Das alles sagte ich mir noch nicht ganz klar, aber ich begriff, dass er die Ehe als eine Lösung und nicht als einen Ausgangspunkt betrachtete. Bei ihm war keine Rede davon, dass man sich gemeinsam zu Gipfeln erheben sollte; wäre ich erst Madame Laiguillon, würde ich mich der Erhaltung eines ‹eng umgrenzten Heims› widmen müssen. Vielleicht war das nicht unbedingt unvereinbar mit meinen persönlichen Bestrebungen? Ich misstraute allen Kompromissen, und dieser kam mir besonders gefahrenreich vor. Teilte ich erst einmal Jacques’ Existenz, würde es sehr schwer für mich sein, mich ihm gegenüber zu behaupten, da ja jetzt schon sein Nihilismus ansteckend auf mich wirkte. Ich versuchte zwar, ihn von mir abzuwehren, indem ich mich auf den Augenschein meiner Leidenschaft, meines Willens stützte; oft gelang es mir auch. In Augenblicken der Mutlosigkeit neigte ich indessen dazu, ihm vollkommen recht zu geben. Würde ich mich nicht unter seinem Einfluss und aus Gefälligkeit gegen ihn dazu hinreißen lassen, alles das zu opfern, was ‹meinen Wert› ausmachte? Ich lehnte mich gegen diese Verstümmelung auf. Deswegen war diesen ganzen Winter hindurch meine Liebe zu Jacques eine so schmerzhafte Sache. Entweder verzettelte er sich und verlor sich in weiter Ferne von mir, und ich litt darunter; oder er suchte sein Gleichgewicht in einem ‹Embourgeoisement›, das ihn mir zwar hätte näherbringen können, in dem ich aber einen Abfall sah; ich konnte ihm nicht in seine Verwirrung hinein folgen, wollte aber auch nicht mit ihm zusammen in einer Ordnung leben, die ich verachtete. Keiner von uns beiden glaubte an traditionelle Werte; ich jedoch war bereits entschlossen, andere zu entdecken oder zu erfinden; er sah noch nichts, was jenseits davon lag; er schwankte zwischen Ausschweifung und vollkommenem Erschlaffen, und die Weisheit, die er akzeptierte, war die des Sichbefriedens; er dachte nicht daran, das Leben zu verändern, sondern sich selbst ihm ausreichend anzupassen. Ich aber wollte höher hinaus.
Sehr oft ahnte ich zwischen uns beiden eine tiefe Unvereinbarkeit und war betrübt darüber. ‹Das Glück, das Leben ist er! Oh! Und das Glück, das Leben sollten doch alles sein!› Dennoch entschloss ich mich nicht, meine Gefühle für Jacques aus meinem Herzen zu reißen. Er begab sich auf eine vierwöchige Rundfahrt durch Frankreich, auf der er Pfarrer und Kirchenbehörden aufsuchen wollte, um Laiguillonfenster an den Mann zu bringen. Es war Winter, es war kalt: Wieder erlebte ich an mir, dass ich die Wärme seiner Gegenwart,
Weitere Kostenlose Bücher