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Memoiren einer Tochter aus gutem Hause

Memoiren einer Tochter aus gutem Hause

Titel: Memoiren einer Tochter aus gutem Hause Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone de Beauvoir
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Malerei, für Kino, für Theater und sogar für die Music-Hall. Es lag Feuer in seinem Blick, seiner Stimme, und ich fand Vergnügen an den Gesprächen mit ihm. Über mich selbst verwundert, notierte ich: ‹Ich habe entdeckt, dass man gescheit sein und sich doch für Politik interessieren kann.› Theoretisch verstand er allerdings nicht viel davon, und ich lernte im Grunde nichts. Auch weiterhin ordnete ich soziale Fragen der Metaphysik und Moral unter: Wozu sich um das Glück der Menschheit sorgen, wenn sie keine Daseinsberechtigung hat?
    Dieser eigensinnige Standpunkt hinderte mich nicht daran, aus meiner Begegnung mit Simone Weil Nutzen zu ziehen. Obwohl sie sich auf die École Normale vorbereitete, unterzog sie sich an der Sorbonne den gleichen Prüfungen wie ich. Sie interessierte mich wegen des großen Rufes der Gescheitheit, den sie genoss, und wegen ihrer bizarren Aufmachung; auf dem Hofe der Sorbonne zog sie immer von einer Schar alter Alain-Schüler umgeben umher; in der einen Tasche ihres Kittels trug sie stets eine Nummer der
Libres Propos
und in der anderen ein Exemplar der
Humanité
. Eine große Hungersnot hatte China heimgesucht, und man hatte mir erzählt, dass sie bei Bekanntgabe dieser Nachricht in Schluchzen ausgebrochen sei: Diese Tränen zwangen mir noch mehr Achtung für sie ab als ihre Begabung für Philosophie. Ich beneidete sie um ein Herz, das imstande war, für den ganzen Erdkreis zu schlagen. Eines Tages gelang es mir, ihre Bekanntschaft zu machen. Ich weiß nicht, wie wir damals ins Gespräch gekommen sind; sie erklärte in schneidendem Tone, dass eine einzige Sache heute auf Erden zähle: eine Revolution, die allen Menschen zu essen geben würde. In nicht weniger peremptorischer Weise wendete ich dagegen ein, das Problem bestehe nicht darin, die Menschen glücklich zu machen, sondern für ihre Existenz einen Sinn zu finden. Sie blickte mich fest an. «Man sieht, dass Sie noch niemals Hunger gelitten haben», sagte sie. Damit waren unsere Beziehungen auch schon wieder zu Ende. Ich begriff, dass sie mich unter die Rubrik ‹geistig ehrgeizige kleine Bourgeoise› eingereiht hatte, und ich ärgerte mich darüber, wie ich mich früher geärgert hatte, wenn Mademoiselle Litt meine Geschmacksneigungen aus meinem kindlichen Alter erklärte; ich glaubte, ich hätte mich von meiner Klasse frei gemacht: Ich wollte nichts anderes sein als ich selbst.
    Ich weiß nicht recht, weshalb ich mit Blanchette Weiß verkehrte. Sie war klein und dicklich, und in ihrem vor Selbstgefälligkeit glänzenden Gesicht huschten boshafte Augen umher; aber ich war förmlich hypnotisiert von ihrem philosophischen Wortschwall; sie verquickte metaphysische Spekulationen mit allerlei Tratsch, und das mit einem Wortreichtum, den ich für Klugheit hielt. Da begrenzte Wesen nicht ohne das Mittel des Unendlichen miteinander in Verbindung treten könnten, sei jede Liebe unter Menschen schuldhaft, erklärte sie mir; aus den Forderungen des Unendlichen entnahm sie für sich das Recht, alle ihr unbekannten Leute anzuschwärzen. Amüsiert erfuhr ich von ihr, welchem Ehrgeiz, welchen Manien, Schwächen oder Lastern unsere Professoren oder die irgendwie hervorstechenden Studenten huldigten. «Ich habe die Seele einer proustischen Hausmeisterin», pflegte sie nicht ohne Behagen zu erklären. Mit einer gewissen Inkonsequenz warf sie mir vor, noch immer der Sehnsucht nach dem Absoluten nachzuhängen. «Ich», sagte sie, «schaffe mir meine eigenen Werte.» Welche waren das? Darüber äußerte sie sich nur sehr unbestimmt. Sie legte größten Wert auf ihr Innenleben: Das war auch mein Fall; sie verachtete den Reichtum: ich auch; sie setzte mir aber auseinander, dass man, um nicht an Geld denken zu müssen, genug davon haben sollte und dass sie selbst ohne allen Zweifel in eine Vernunftheirat willigen würde: Ich war außer mir. Ich stellte bei ihr einen merkwürdigen Narzissmus fest: Mit ihren Löckchen und Schleifchen hielt sie sich für eine Schwester der Clara d’Ellébeuse. Trotz allem hatte ich derartige Sehnsucht nach ‹Gedankenaustausch›, dass ich sie ziemlich oft sah.
    Meine einzige wirkliche Freundin blieb hingegen Zaza. Ihre Mutter begann mich leider mit unfreundlichen Augen anzusehen. Unter meinem Einfluss offenbar zog Zaza ihre Studien dem häuslichen Leben vor, außerdem borgte ich ihr skandalöse Bücher. Madame Mabille war förmlich erbost auf Mauriac: Sie empfand seine Darstellungen des bürgerlichen Heims als eine

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