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Memoiren einer Tochter aus gutem Hause

Memoiren einer Tochter aus gutem Hause

Titel: Memoiren einer Tochter aus gutem Hause Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone de Beauvoir
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«Das ist doch unvernünftig!», rief er mit hasserfüllter Stimme aus. «Alle jungen Mädchen, sie schwärmen dafür, zu vermitteln, wenn eine ihrer Freundinnen hat eine Intrigue.» Ich antwortete etwas grob, seine Liebe zu Stépha interessiere mich nicht; es handle sich dabei nur um ein egoistisches Verlangen, zu besitzen und zu beherrschen; im Übrigen zweifelte ich an der Solidität seiner Gefühle: Wäre er bereit, sein Leben mit ihr zusammen aufzubauen? Seine Lippen zitterten: «Man könnte Ihnen ein Meißner Figürchen geben, Sie würden es auf den Boden werden, nur um zu sehen, ob es zerbricht oder nicht!» Ich machte Bandi – so nannte ihn Stépha – gegenüber keinen Hehl daraus, dass ich in dieser Sache die Verbündete von Fernando sei. «Nicht ausstehen kann ich diesen Fernando!», sagte Bandi zu mir. «Erstens ist er Jude!» Ich war tief empört.
    Stépha beklagte sich oft über ihn; sie fand ihn glanzvoll genug, um Lust zu haben, ihn ‹in die Hand zu bekommen›, aber er stellte ihr denn doch allzu beharrlich nach. Ich machte bei dieser Gelegenheit die Erfahrung, dass ich tatsächlich, wie sie sagte, naiv war. Eines Tages ging ich mit Jean Mallet ins ‹Théâtre des Champs-Élysées›, um die
Piccoli
anzusehen, die Poddrecca zum ersten Male in Paris vorführte. Ich bemerkte Stépha, die sich keineswegs wehrte, obwohl Bandi sie sehr fest an sich drückte. Mallet mochte Stépha sehr gern, er pflegte ihre Augen mit denen eines Tigers zu vergleichen, der Morphium erhalten habe; er schlug vor, wir wollten ihr guten Abend sagen. Der Ungar rückte lebhaft von ihr ab, sie aber lächelte uns ohne die geringste Verlegenheit an. Mir wurde klar, dass sie ihre Anbeter mit weit weniger Strenge behandelte, als sie mich hatte glauben machen, und war ihr böse wegen ihres Verhaltens, das ich als illoyal empfand, denn ich hatte gar kein Verständnis für Flirt. Ich war sehr froh, als sie sich dennoch zur Heirat mit Fernando entschloss. Bandi machte ihr daraufhin heftige Szenen: Trotz aller Vorsichtsmaßnahmen gelang es ihm, sie in ihrem Zimmer zu stellen. Dann aber beruhigte er sich. Sie kam nicht mehr in die Bibliothèque Nationale. Er lud mich noch einmal zu einem Kaffee ins ‹Poccardi› ein, sprach aber nicht mehr von ihr.
    In der Folgezeit lebte er als Korrespondent einer ungarischen Zeitung in Frankreich. Zehn Jahre später, am Abend der Kriegserklärung, begegnete ich ihm im ‹Dôme›. Er wollte am folgenden Tage in ein Regiment eintreten, das aus ausländischen Freiwilligen gebildet wurde. Er vertraute mir einen Gegenstand an, auf den er großen Wert legte: eine derbe kleine Standuhr aus Glas von sphärischer Form. Er gestand mir, er sei Jude, ein uneheliches Kind und sexuell monoman: Er liebe nur Frauen, die mehr als zwei Zentner wögen: Stépha sei in seinem Leben eine Ausnahme gewesen; er habe gehofft, dass sie ihm trotz ihrer zierlichen Gestalt dank ihrer Intelligenz einen Eindruck von Fülle geben würde. Der Krieg hat ihn verschlungen; er hat sich sein Ührchen niemals abgeholt.
     
    Zaza schrieb mir aus Berlin lange Briefe, von denen ich Stépha und Pradelle Auszüge vorlas. Als sie Paris verließ, hatte sie die Deutschen als ‹Boches› bezeichnet und nur mit Zittern und Zagen den Fuß auf feindlichen Boden gesetzt. ‹Mein Einzug im Fröbel-Hospiz war ziemlich deprimierend; ich dachte, ich würde in ein Hotel für Damen kommen, fand aber eine von – im Übrigen durchaus respektablen – dicken Deutschen bewohnte Karawanserei vor, und als das ‹Mädchen› mich in mein Zimmer führte, übergab sie mir, ganz wie Stépha mir vorausgesagt hatte, einen Schlüsselbund: Schlüssel für den Kleiderschrank, das Zimmer, den mittleren Gebäudeteil, in dem ich wohnte, und schließlich auch noch für das Außentor des Grundstücks für den Fall, dass ich einmal erst nach vier Uhr morgens nach Hause käme. Ich war von der Reise derart müde und so überwältigt von meiner ausgedehnten Freiheit und der unermesslichen Weite Berlins, dass ich nicht mehr den Mut fand, zum Abendessen hinunterzugehen, sondern mich in mein seltsames Bett ohne Betttücher oder Decke – nur mit einem Federbett – vergrub und mein Kopfkissen mit meinen Tränen netzte. Ich habe dreizehn Stunden geschlafen, bin morgens in eine Kapelle zur hl. Messe und dann voller Neugier durch die Straßen gegangen; gegen Mittag war meine Stimmung bereits beträchtlich gestiegen. Seitdem gewöhne ich mich mehr und mehr hierher, obwohl es noch

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