Memoiren einer Tochter aus gutem Hause
Reiz an diesen Zeremonien, mir aber kam das öffentliche Zurschaustellen einer ganz persönlichen Angelegenheit widerwärtig vor. Ich fragte ihn, ob er manchmal selbst an Heirat denke. Nur in sehr unbestimmter Weise, sagte er mir; er glaube nicht, dass er je eine Frau wirklich lieben werde; er sei dafür zu ausschließlich an seine Mutter attachiert; selbst in der Freundschaft werfe er sich einen gewissen Mangel an Wärme vor. Ich sprach ihm von dem großen Überschwang an Zärtlichkeit, der mir manchmal die Tränen in die Augen trieb. Er schüttelte den Kopf: «Auch das ist übertrieben.» Er selbst übertrieb freilich nie, und der Gedanke kam mir, es werde gewiss nicht leicht sein, ihn zu lieben. Auf alle Fälle aber zählte Lisa nicht für ihn. Sie erzählte mir traurig, dass er ihr in der Sorbonne keinerlei Interesse bezeige. Wir verbrachten einen ausgedehnten Spätnachmittag miteinander in der Bar de Rotonde mit Gesprächen über Liebe und unsere Amouren; vom Dancing her drang Jazzmusik herauf, und im Halbdunkel flüsterten Stimmen. «Ich bin an Unglück gewöhnt», sagte sie, «man wird damit gleich geboren.» Niemals hatte sie, was sie sich wünschte, zu erreichen vermocht. «Und doch, wenn ich nur seinen Kopf in meinen Händen halten könnte, wäre alles gut.» Sie dachte daran, sich um eine Stelle in den Kolonien zu bewerben, nach Saigon oder Tananarivo zu gehen.
Mit Stépha amüsierte ich mich immer gut; Fernando war oft da, wenn ich in ihr Zimmer kam; während sie Cocktails mit Curaçao daran mixte, zeigte er mir Reproduktionen von Soutine und Cézanne; seine noch ungeschickten Bilder gefielen mir, und auch ich bewunderte, dass er ohne alle Rücksicht auf materielle Sorgen sein Leben ganz auf die Malerei eingestellt hatte. Wir gingen bisweilen zu dreien aus. Mit Begeisterung erlebten wir Charles Dullin in
Volpone
und, mit einer gewissen Kritik bei Baty, in der ‹Comédie des Champs-Élysées›
Départs
von Gantillon. Nach meinen Unterrichtsstunden lud Stépha mich zum Mittagessen zu Knam ein; wir aßen bei Musik auf polnische Art, und sie fragte mich um Rat, ob sie Fernando heiraten solle. Ich sagte ja; niemals hatte ich zwischen einem Mann und einer Frau ein so völliges Einvernehmen erlebt: Sie entsprachen genau meinem Ideal eines Paares. Sie zögerte: Es gab auf Erden so viele ‹interessante› Männer! Dieses Wort reizte mich etwas. Ich selbst fühlte mich von allen diesen Rumänen und Bulgaren sehr wenig angezogen, mit denen Stépha spielerisch den Kampf der Geschlechter austrug. Zuweilen wurde auch mein Chauvinismus einmal wieder wach. Wir aßen mit einem deutschen Studenten in dem Restaurant zu Mittag, das sich im Innern der Bibliothèque Nationale befand; er war blond und hatte, wie es sich gehört, von Narben durchfurchte Wangen; er sprach in einem gewissen rachsüchtigen Ton von der Größe seines Vaterlandes. Plötzlich musste ich denken: ‹Vielleicht kämpft er eines Tages gegen Jacques oder gegen Pradelle›, und bekam Lust, einfach aufzustehen.
Dennoch freundete ich mich mit einem ungarischen Journalisten an, der gegen Ende Dezember in Stéphas Leben einbrach. Sehr groß, sehr schwer, versuchte er in seinem fülligen Gesicht mit etwas schwammigen Lippen ein Lächeln hervorzubringen, das nur schlecht gelang. Er sprach gern von seinem Adoptivvater, der das größte Theater von Budapest leitete. Er arbeitete an einer Dissertation über das französische Melodrama, bewunderte leidenschaftlich die französische Kultur, Madame de Staël und Charles Maurras; von Ungarn abgesehen waren für ihn alle Länder Mitteleuropas und speziell des Balkans von Barbaren bewohnt. Er tobte, als er Stépha mit einem Rumänen sprechen sah. Er geriet leicht in Zorn; dann zitterten seine Hände, sein rechter Fuß trommelte krampfhaft auf den Fußboden, und er begann zu stottern: Mir war diese Unbeherrschtheit fatal. Er reizte mich auch dadurch, dass sein dicklippiger Mund unaufhörlich die Worte Raffinement, Grazie, Zartheit aus sich hervorgehen ließ. Er war nicht dumm, und ich hörte mit Spannung seine Betrachtungen über Kulturen und Zivilisationen an; im Allgemeinen jedoch machte ich mir nicht viel aus seiner Konversation; er ärgerte sich darüber. «Wenn Sie wüssten, wie geistreich ich auf Ungarisch bin!», sagte er eines Tages in einem gleichzeitig wütenden und bedauernden Ton zu mir. Wenn er mich zu umgarnen versuchte, damit ich bei Stépha ein gutes Wort für ihn einlegte, ging ich darauf nicht ein.
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