Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Memoiren einer Tochter aus gutem Hause

Memoiren einer Tochter aus gutem Hause

Titel: Memoiren einer Tochter aus gutem Hause Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone de Beauvoir
Vom Netzwerk:
und einem schwarzen Hut mit Crêpeschleier zurück. Alle Kastanienbäume aber standen in Blüte, der Asphalt unter meinen Füßen war weich, durch mein Kleid hindurch spürte ich die wohlige Sonnenwärme. Auf dem Invalidenplatz war Jahrmarkt: Mit meiner Schwester und Gégé flanierte ich dort umher und aß Nougat, das einem die Finger klebrig machte. Die beiden stießen auf eine Kameradin aus ihrer Kunstschule, die uns in ein Studio mitnahm, in dem wir Platten anhörten und Portwein tranken. Wie viele Vergnügungen an einem einzigen Nachmittag! Jeder Tag brachte irgendetwas mit sich: den Firnisgeruch des ‹Salon des Tuileries›; im ‹Européen› Damia, die ich mit Mallet zusammen bewundern ging; Spaziergänge mit Zaza, mit Lisa; die Bläue des Sommerhimmels, die Sonne. In meinem Tagebuch schrieb ich immer noch viele Seiten voll: Sie sprachen nur unaufhörlich von meiner Freude.
     
    In der Bibliothèque Nationale traf ich wieder auf Clairaut. Er sprach mir seine Teilnahme aus und fragte mit blitzenden Augen, wie es mit meinem Herzen stehe; das war meine Schuld, ich hatte zu viel geredet; dennoch ärgerte ich mich. Er gab mir einen mit der Maschine geschriebenen kurzen Roman zu lesen, in dem er die Auseinandersetzungen mit seiner Verlobten niedergelegt hatte. Wie nur konnte ein gebildeter junger Mann, der als gescheit galt, seine Zeit damit vergeuden, in farblosen Sätzen solche kümmerlichen Erlebnisse zu berichten? Ich verhehlte ihm nicht, dass ich ihn in literarischer Hinsicht für wenig befähigt hielt. Er schien mir deshalb nicht böse zu sein. Da er mit Pradelle sehr befreundet war, der meinen Eltern besonders gut gefiel, kam auch er eines Tages zu uns zum Abendessen; mein Vater war sehr entzückt von ihm. Clairaut schien sehr empfänglich für die Reize meiner Schwester, und um ihr zu beweisen, dass er kein trockener Pedant sei, versuchte er sich in allerlei Scherzen, deren Plumpheit bestürzend auf uns wirkte.
    Eine Woche nach meiner Rückkehr traf ich Herbaud auf einem der Gänge der Sorbonne. In einem hellbeigefarbenen Anzug saß er mit Sartre auf einer Fensterbank. Mit einem langen, herzlichen Druck reichte er mir die Hand, wobei er einen neugierigen Blick auf mein schwarzes Kleid warf. Ich saß während der Vorlesung neben Lisa, die beiden nahmen ein paar Reihen hinter uns Platz. Am folgenden Tage war er in der Nationale und sagte mir, er sei durch mein Fernbleiben sehr beunruhigt gewesen. «Ich glaubte, Sie wären auf dem Lande, aber dann habe ich Sie gestern in Trauer gesehen.» Ich war froh, dass er an mich gedacht hatte; er setzte meinem Vergnügen noch die Krone auf, als er eine Andeutung über unsere Begegnung im Luxembourggarten machte; er hätte mich gern mit Sartre bekannt gemacht, «aber während ich keinen Respekt vor Clairauts einsamen Gedankengängen habe, würde ich mir nie erlauben, Sie zu stören, wenn Sie beim Nachdenken sind». Er übergab mir in Sartres Auftrag eine von dessen Zeichnungen, die er mir gewidmet hatte und die
Leibniz im Bade mit den Monaden
darstellte.
    Während der drei Wochen, die der Prüfung für die ‹Agrégation› vorausgingen, kam er jeden Tag in die Bibliothek; selbst wenn er dort nicht arbeitete, erschien er doch, um mich nach Schließung des Lesesaals abzuholen und bald hier, bald da noch etwas mit mir zu trinken. Das Examen beunruhigte ihn in gewissem Maße, dennoch ließen wir Kant und die Stoiker auf sich beruhen und plauderten. Er machte mich mit der ‹eugenischen Kosmologie› bekannt, die ihre Erfindung der Anregung durch
Le Potomak
verdankte und für die er auch Sartre und Nizan gewonnen hatte; alle drei gehörten der obersten Kaste der ‹Eugènes› an, die durch die Zugehörigkeit von Sokrates und Descartes ihre Weihe erhielt; alle ihre Studiengefährten verwiesen sie in untergeordnete Kategorien, unter die ‹Marrhanen›, die im Unendlichen, oder die ‹Mortimers›, die im Blauen schwimmen: Manche von ihnen waren deswegen recht böse. Ich selbst reihte mich in die Kategorie der ‹femmes humeuses› ein, das sind die, die ein eigenes Schicksal haben. Er zeigte mir auch die Porträts der hauptsächlichen metaphysischen Tiere: das Catoblepas, das seine Füße verspeist, das Catoboryx, das sich durch Blähungen ausdrückt: Zu dieser Gattung gehörten Charles Du Bos, Gabriel Marcel und die meisten Mitarbeiter der
Nouvelle Revue française
. ‹Ich sage euch, jedes Denken der Ordnung ist von unerträglicher Traurigkeit›: Dies war die erste der

Weitere Kostenlose Bücher