Memoiren einer Tochter aus gutem Hause
Buchstaben auf mein Heft: BEAUVOIR = BEAVER . «Sie sind ein Biber», sagte er. «Die Biber leben in Gemeinschaften und haben einen konstruktiven Geist.»
Es gab unendlich viel Gemeinsames zwischen uns, wir verstanden uns auf bloße Andeutungen hin; dennoch berührten uns die Dinge nicht immer auf die gleiche Art. Herbaud kannte Uzerche, er hatte dort ein paar Tage mit seiner Frau verbracht, er liebte auch sehr das Limousin. Aber ich war ganz erstaunt, wenn er auf beredte Weise in den ‹Landes› Dolmen und Menhirs und Wälder erstehen ließ, in denen die Druiden Misteln sammelten. Er verlor sich gern in historischen Träumereien: Für ihn waren die Gärten des Palais-Royal mit großen Schatten bevölkert: Mich ließ die Vergangenheit völlig kalt. Hingegen glaubte ich wegen seines unbeteiligten Tons und seiner lässigen Unbekümmertheit, Herbaud habe ein nicht gerade sehr empfängliches Herz; ich war ganz betroffen, als er mir sagte, er liebe
The Constant Nymph
,
The Mill on the Floss
,
Le Grand Meaulnes
. Als wir von Alain-Fournier sprachen, murmelte er in bewegtem Ton: «Es gibt wirklich beneidenswerte Menschen»; einen Augenblick schwieg er, dann fuhr er fort: «Im Grunde bin ich viel intellektueller als Sie; dennoch hat ursprünglich auch in mir die gleiche Gefühlsfähigkeit gewohnt, aber ich wollte es nicht.» Ich sagte ihm, es komme mir sehr oft berauschend vor, einfach zu existieren. «Ich durchlebe Augenblicke, die ganz wundervoll sind.» Er schüttelte den Kopf: «Ich hoffe es, Mademoiselle, Sie verdienen es. Ich habe keine wundervollen Momente, ich bin ein armer Tropf, aber was ich mache, ist bewundernswert!» Mit einem Lächeln widerlegte er selbst die Großsprecherei, die in diesen letzten Worten lag: Bis zu welchem Grade glaubte er dennoch daran? «Man darf mich nicht verdammen», sagte er öfter, ohne dass ich ganz klar unterschied, ob er damit eine Bitte an mich richtete oder mir einen Befehl erteilte. Ich gab ihm gern Kredit; er sprach zu mir von den Büchern, die er schreiben wollte: Vielleicht würden sie tatsächlich ‹bewundernswert› sein. Nur etwas störte mich bei ihm: Um seinen Individualismus abzuschwächen, setzte er auf den äußeren Erfolg. Mir selbst lag diese Art von Ehrgeiz wirklich vollkommen fern. Ich ging weder auf Geld noch auf Ehrungen noch auf Berühmtheit aus. Ich hatte Angst, wie ein ‹Catoboryx› zu reden, wenn ich Worte wie ‹Heil› oder ‹innere Vollendung› aussprach, die mir in meinem Tagebuch oft in die Feder flossen. Tatsache ist aber, dass ich eine fast religiöse Vorstellung von dem behalten hatte, was ich als ‹mein Geschick› bezeichnete. Herbaud interessierte sich dafür, welches Bild sich andere von ihm machten; seine zukünftigen Bücher betrachtete er nur als Elemente seiner Persönlichkeit. In diesem Punkte gab ich auch künftighin niemals nach: Ich begriff nicht, dass man sein Leben in dem Urteil eines zweifelhaften Publikums entfremdet sehen konnte.
Wir sprachen kaum einmal von persönlichen Problemen. Eines Tages jedoch entschlüpfte dennoch Herbaud die Bemerkung, dass der ‹Eugène› nicht glücklich sei, denn Fühllosigkeit sei ein Ideal, das er nicht zu erreichen vermöge. Ich vertraute ihm an, dass ich viel Verständnis für die ‹Eugènes› aufbrächte, weil es einen davon in meinem Leben gäbe. «Die Beziehungen zwischen ‹Eugènes› und ‹Femmes humeuses› gestalten sich äußerst schwierig», erklärte er mir, «denn Letztere wollen alles verschlingen, der ‹Eugène› aber leistet Widerstand.» – «O ja, das habe ich allerdings bemerkt!», antwortete ich ihm. Er lachte herzlich mit mir. Nach und nach erzählte ich ihm in großen Zügen meine Geschichte mit Jacques, und er redete mir zu einer Heirat mit ihm zu, oder wenn nicht mit ihm, so mit einem anderen, setzte er hinzu: «Eine Frau muss heiraten». Mit Verwunderung stellte ich fest, dass in diesem Punkte seine Meinung kaum anders als die meines Vaters war. Ein Mann, der mit achtzehn Jahren noch keine Liebeserfahrung hatte, war in seinen Augen ein Neurotiker; doch stellte er die Forderung auf, eine Frau solle sich nur im Rahmen der gesetzlichen Ehe hingeben. Ich meinerseits wollte nicht zulassen, dass man zweierlei Maß anwendete. Ich tadelte Jacques nicht mehr; aber plötzlich gestand ich jetzt den Frauen ebenso wie den Männern freie Verfügung über ihren Körper zu. Ich liebte sehr einen Roman von Michael Arlen,
The Green Hat
. Ein Missverständnis hatte die Heldin,
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