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Memoiren einer Tochter aus gutem Hause

Memoiren einer Tochter aus gutem Hause

Titel: Memoiren einer Tochter aus gutem Hause Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone de Beauvoir
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Meine ersten Erinnerungen an sie sind die an eine lachende, heitere junge Frau. Es lag in ihr jedoch auch etwas Unverbrüchliches und durchaus Bestimmtes, das nach der Heirat zum Durchbruch kam. Mein Vater besaß in ihren Augen ein unbedingtes Prestige, und sie war der Meinung, die Frau müsse dem Manne gehorchen. Doch unserer Louise, meiner Schwester und mir gegenüber trat sie sehr entschieden, zuweilen sogar heftig auf. Wenn einer der intimen Freunde des Hauses ihr widersprach oder sie verletzte, reagierte sie häufig mit Zorn und übergroßer Freimütigkeit. In größerer Gesellschaft aber blieb sie zeitlebens schüchtern. Ohne Übergang in einen Kreis versetzt, der sich stark von ihrem Provinzmilieu unterschied, passte sie sich nur mühsam an. Ihre Jugend und Unerfahrenheit, ihre Liebe zu meinem Vater machten sie verwundbar; sie fürchtete kritische Äußerungen, und um sie zu vermeiden, gab sie sich große Mühe, es ‹so zu machen wie alle Welt›. Ihr neues Milieu lebte nur halb und halb nach der Moral von ‹Les Oiseaux›. Sie wollte nicht als prüde gelten und verzichtete darauf, die anderen nach ihrem eigenen Sittenkodex zu richten; sie war entschlossen, sich dem anzugleichen, was nun einmal üblich war. Papas bester Freund lebte mit einer Frau, ‹als ob sie verheiratet wären›, also in der Sünde; das hinderte ihn aber nicht, häufig zu uns zu kommen; seine Konkubine freilich wurde nicht eingeladen. Meine Mutter dachte niemals daran – weder im einen noch im anderen Sinne –, gegen eine Inkonsequenz Einspruch zu erheben, die von der Gesellschaft sanktioniert worden war. Sie fand sich mit noch vielen anderen Kompromissen ab, die ihre Grundsätze nicht berührten; vielleicht um derartige Zugeständnisse dadurch zu kompensieren, bewahrte sie im Inneren strenge Unnachsichtigkeit. Obwohl sie ohne jeden Zweifel eine glückliche junge Frau gewesen war, machte sie kaum einen Unterschied zwischen Laster und Sexualität: Immer blieb für sie die Vorstellung alles Körperlichen eng mit dem Begriff der Sünde verknüpft. Da der Brauch sie zwang, den Männern gewisse Extratouren zugutezuhalten, konzentrierte sie ihre Strenge ausschließlich auf die Frauen; zwischen ‹anständigen Frauen› und ‹Lebedamen› gab es für sie kaum ein Zwischending. Alles, was ‹das Körperliche› betraf, widerstrebte ihr so sehr, dass sie die entsprechenden Fragen vor mir nie berührte; sie machte mich nicht einmal im Voraus auf die Überraschungen aufmerksam, die an der Schwelle der Pubertät meiner harrten. Auf allen anderen Gebieten hatte sie sich die Ideen meines Vaters zu eigen gemacht, ohne dass es ihr offenbar Schwierigkeiten bereitete, sie mit der Religion in Einklang zu bringen. Mein Vater wunderte sich über die Paradoxe des menschlichen Herzens, der Erblichkeit, der Bizarrerien des Traumes; ich habe nie erlebt, dass meine Mutter über etwas staunte.
    Ebenso sehr vom Gefühl ihrer Verantwortung durchdrungen, wie Papa frei davon war, ließ sie sich ihre Aufgabe als Erzieherin überaus angelegen sein. Sie bat um Ratschläge bei der Kongregation der ‹Christlichen Mütter› und konferierte häufig mit den Damen des Cours Désir. Sie brachte mich persönlich zur Schule, nahm an meinem Unterricht teil und überwachte Hausaufgaben und mündliche Lektionen; sie lernte Englisch und sogar die Anfangsgründe des Lateinischen, um meiner Ausbildung folgen zu können. Sie nahm Einfluss auf meine Lektüre, führte mich zur Messe und zum Abendsegen; sie, meine Schwester und ich verrichteten gemeinsam das Morgen- und Abendgebet. In jedem Augenblick war sie noch im Innersten meines Herzens als Zeuge da, und ich machte kaum einen Unterschied zwischen ihrem und Gottes Auge über mir. Keine meiner Tanten – nicht einmal Tante Marguerite, die im Sacré-Cœur erzogen war – übte die Pflichten der Religion mit solchem Eifer aus; sie ging häufig zur Kommunion, betete mit Inbrunst und las viele fromme Andachtsbücher. Ihr Verhalten passte sich ihren Glaubensüberzeugungen an; immer bereit, sich aufzuopfern, weihte sie ihr Leben vollkommen den Ihrigen. Ich sah sie nicht als eine Heilige an, weil sie mir zu vertraut war und zudem leicht in Zorn geriet; aber ihr Beispiel wurde dadurch für mich nur umso überzeugender: Ich konnte – und musste demgemäß – ihr an Frömmigkeit und Tugend nacheifern. Die Wärme ihrer Zuneigung machte ihre Unwillensausbrüche wieder wett. Wäre sie unfehlbarer und dadurch mir ferner gewesen, hätte

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