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Memoiren einer Tochter aus gutem Hause

Memoiren einer Tochter aus gutem Hause

Titel: Memoiren einer Tochter aus gutem Hause Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone de Beauvoir
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Veränderungen in meinem Körper eintreten würden; ich würde erst einen ‹weißen Fluss› bekommen und dann allmonatlich Blut verlieren, woraufhin ich eine Art von Bandagen würde tragen müssen. Ich fragte sie, ob man diesen Vorgang dann als ‹roten Fluss› bezeichne, und meine Schwester beunruhigte sich wegen der Bandagen: Wie konnte man denn dann sein kleines Geschäft besorgen? Diese Frage ärgerte Madeleine; sie bemerkte, wir seien dumme Dinger, zuckte die Achseln und begab sich zu ihren Hühnern zurück. Vielleicht war sie sich klar geworden, wie kindisch wir noch waren, und hielt uns weiterer Weihen fortan noch nicht für würdig. Ich war vor allem tief erstaunt: Ich hatte mir eingebildet, die Geheimnisse, die die Erwachsenen so sorgfältig vor uns verbargen, seien weit wichtigerer Natur. Andererseits passte der vertrauliche und amüsierte Ton Madeleines nur schlecht zu der absonderlichen Belanglosigkeit dieser Enthüllungen; irgendetwas stimmte da nicht, aber ich wusste nicht, was es war. Sie hatte das Problem der Empfängnis nicht berührt; in den folgenden Tagen dachte ich darüber nach; da ich begriff, dass Ursache und Wirkung zusammenhängen müssen, konnte ich mir nicht vorstellen, dass allein die Heiratszeremonie im Leib der Frau ein neues Wesen entstehen lassen solle; es musste zwischen den Eltern irgendetwas Organisches sich vollziehen. Das Verhalten der Tiere freilich hätte mich aufklären können: Ich hatte Criquette, Madeleines kleine Foxterrierhündin, in merkwürdig enger Verbindung mit einem großen Wolfshund gesehen, worauf Madeleine unter Tränen die beiden zu trennen suchte. «Seine Jungen sind zu groß, Criquette stirbt daran!» Ich aber brachte diese Vergnügungen – so wenig wie das Verhalten von Vögeln oder Insekten – nicht in Zusammenhang mit den Gepflogenheiten der Menschen. Die Ausdrücke ‹Bande des Blutes›, ‹Kinder gleichen Blutes› oder ‹die Stimme des Blutes› legten mir den Gedanken nahe, ein wenig von dem Blut des Ehemannes werde der Gattin eingeführt; ich malte mir aus, die beiden ständen da, und das rechte Handgelenk des Mannes sei dicht mit dem linken der Frau verbunden: Das ergab eine feierliche Operation, der der Priester und ein paar Zeugen beizuwohnen hätten.
    Obwohl das Gerede Madeleines eher enttäuschend war, sollte es doch recht anregend auf uns wirken, denn wir beide, meine Schwester und ich, schwelgten nunmehr in verfänglichen Redensarten. Freundlich und moralisch wenig bedenklich, dazu in Gedanken stets anderswo, schüchterte Tante Hélène uns nicht besonders ein. Wir begannen in ihrer Gegenwart eine Menge ‹ungehöriger› Reden zu führen. Im Salon mit den unter Schutzkappen verborgenen Möbeln ließ sich Tante Hélène zuweilen am Klavier nieder, um uns Lieder von 1900 vorzusingen; sie besaß eine ganze Sammlung davon; wir wählten die verfänglichsten aus und summten mit Behagen mit: ‹Tes seins blancs sont meilleurs à ma bouche gourmande – que la fraise des bois – et le lait que j’y bois …› Dieser Anfang eines Liedes gab uns viel zu raten auf: Musste man ihn wörtlich verstehen? Kommt es wirklich vor, dass ein Mann von der Milch der Frau trinkt? Handelte es sich dabei um einen rituellen Vorgang unter Liebenden? Auf alle Fälle war zweifellos dieses Lied ‹ungehörig›. Wir schrieben es mit dem Finger auf beschlagene Fensterscheiben, wir rezitierten es mit lauter Stimme vor den Ohren von Tante Hélène; wir überhäuften diese mit naseweisen Fragen, wobei wir ihr zu verstehen gaben, dass man uns nichts mehr vormachen könne. Ich glaube allerdings, dass hinter unserer planlosen Fragenfülle gleichwohl eine Absicht stand; wir waren Heimlichkeit nicht gewohnt und wollten den Erwachsenen zu verstehen geben, dass ihre Geheimnisse keine mehr für uns waren; aber wir waren dennoch eigentlich nicht kühn genug und mussten uns selbst erst Mut machen; unser Freimut nahm die Form der Herausforderung an. Wir erreichten denn auch unsern Zweck. Als wir wieder in Paris waren, wagte meine Schwester, die weniger befangen war als ich, sich an Mama zu wenden; sie fragte sie, ob die Kinder durch den Nabel auf die Welt kämen. «Wozu diese Frage?», fragte Mama eher kurz angebunden. «Wo ihr ja doch alles wisst!» Tante Hélène hatte sie offenbar fortlaufend orientiert. Erleichtert darüber, dass der erste Schritt getan war, bohrten wir immer weiter; Mama gab uns zu verstehen, dass die Kinder schmerzlos aus der Darmöffnung kämen. Sie

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