Memoria
waren, und sich mit den psychoaktiven Substanzen zu beschäftigen, aus denen sie gebraut wurden.
«Bei seinen medizinischen Forschungen nahm er an religiösen Riten teil und nahm alle möglichen Halluzinogene ein», berichtete ich. «Und dabei ist er irgendwann auf diese Droge gestoßen.»
«Du weißt aber nicht, wo er sie entdeckt hat, bei welchem Stamm?»
«Nein. Und offenbar wusste auch Navarro es nicht, und derjenige, der jetzt hinter der Droge her ist, auch nicht, ob es nun Navarro selbst ist oder jemand anders.»
«Es muss jedenfalls eine hochwirksame Substanz sein, sonst würde doch nicht jetzt, noch nach fünf Jahren, jemand mit aller Macht versuchen, sie in die Hände zu bekommen.» Sie sah mich an, und etwas an ihrem Ausdruck machte mir Hoffnung, dass wir beide vielleicht doch nicht am Ende waren. «Vielleicht hast du das Richtige getan. Wer weiß … Wenn er nicht gestorben wäre, dann wäre vielleicht alles noch schlimmer gekommen.»
Das hatte Michelle auch gesagt. Ich hatte jahrelang versucht, mich selbst davon zu überzeugen, aber als Tess es jetzt sagte, dachte ich, es könnte etwas Wahres daran sein. Wie auch immer, im Augenblick war ich einfach nur froh, dass Tess überhaupt noch mit mir sprach.
«Aber was zum Teufel ist an dieser Droge so besonders gefährlich?», fragte sie. «Es gibt Unmengen Halluzinogene, und die sind nicht so schlimm wie Meth, oder?»
Ich hatte damals dieselbe Frage gestellt. «Drei Punkte: Erstens hat er gesagt, es könnte ein riesiger Erfolg werden, es brächte so einen Kick, dass die Leute nicht widerstehen könnten, und im Vergleich zu dieser Droge sei Meth so langweilig wie Aspirin. Das waren seine Worte. Zweitens ist es ihm gelungen, es in Tablettenform zu bringen, sodass es leicht einzunehmen wäre. Die richtige Droge zum richtigen Zeitpunkt kann sich ausbreiten wie die Pest. Und drittens hätte Navarro quasi das Monopol darauf gehabt und hätte Stoffe beimischen können, die eine starke Abhängigkeit erzeugen. Und das wäre eine Katastrophe, immerhin reden wir hier von einem hochwirksamen Halluzinogen.»
«Was wäre so katastrophal daran?»
«Die Gehirne der meisten Menschen», erklärte ich, «sind nicht in der Lage, die Wirkung eines solchen Mittels zu verarbeiten. Sie können es einfach nicht. Mit der Wirkung von Gras oder Koks oder Heroin kommt das Gehirn irgendwie klar, aber ein hochwirksames Halluzinogen ist eine gänzlich andere Sache. Da besteht die Gefahr, dass es ernsthaft zerstörerisch auf die Psyche der Konsumenten wirkt. Darum haben diese Stoffe schon von jeher eine Rolle beispielsweise in heidnischen Kulturen gespielt, in denen sie nur wenigen vorbehalten waren, die erst in den Gebrauch eingeweiht werden mussten. Das war eine Art Initiation, ein Ritual, eine Zeremonie … Eine einmalige Erfahrung im Leben eines Menschen, vergleichbar mit dem Eintritt ins Erwachsenenalter, wenn ein bestimmter Meilenstein im Reifeprozess erreicht ist, oder wenn man eine Krankheit hat, die geheilt werden muss. Die einzigen Menschen, die solche Stoffe regelmäßig nehmen dürfen, sind die Schamanen und Medizinmänner, und das aus gutem Grund. Sie können mit der Wirkung umgehen, weil sie dazu ausgebildet sind, sie haben ihr Leben der Aufgabe gewidmet, sich mit den Erfahrungen solcher Trips zu beschäftigen. Der Durchschnittsmensch ist biologisch und vor allem psychologisch so etwas einfach nicht gewachsen, er hat nicht gelernt, diese intensiven Erfahrungen zu verarbeiten, und gesellschaftlich gesehen hätten die meisten Menschen auch gar nicht die Zeit, sich damit vertraut zu machen. Wenn eine solche Droge auf die breite Masse losgelassen würde, könnte das nach allem, was wir wissen, zu ernsthaften Problemen führen. Es könnte sein, dass die Leute nicht mehr ‹funktionieren›. Die Gefahr wäre groß, dass sie langfristige Depressionen entwickeln, geistig instabil werden, zusammenbrechen. Die Psychiatrien würden von einer Flut von Hunderttausenden Patienten überschwemmt. Sieh dir nur an, wie verheerend Meth sich auswirkt, wie es das Leben der Menschen bestimmt und gesunde, erfolgreiche Leute, die ein gutes Leben hatten, zu Zombies macht. Und das ist erst der Anfang.
Diese Droge könnte noch viel Schlimmeres bewirken», fuhr ich fort. «Meth und Crack sind schlimm genug, aber sie verändern nicht die Gehirnstrukturen. Sie machen high, sie machen abhängig, sie zerstören den Körper, aber wenn man gerade nicht auf einem Trip ist, funktioniert der Kopf wieder
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