Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Memoria

Memoria

Titel: Memoria Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raymond Khoury
Vom Netzwerk:
Schusswunden.
    Er hatte nicht mit dem Überfall gerechnet. Niemand hatte das. Nicht in seinem Haus. Nicht auf einem ummauerten Grundstück, im Heim des DEA -Chefs in Mexiko. Aber genau dort war es geschehen. Und das Sperrfeuer schmerzlicher Bilder, die auf ihn einstürmten, wann immer er es wieder durchlebte, war so massiv und so unwirklich, dass er die echten Erinnerungen nicht mehr von den falschen unterscheiden konnte.
    Die Männer waren mitten in der Nacht über sie hereingebrochen, hatten ihn und seine Frau Laura aus dem Schlaf gerissen. Vier Männer mit Balaklavas, vier seelenlose Dämonen, die aus den Abgründen der Hölle auftauchten, sie aus dem Bett zerrten und ins Wohnzimmer stießen, wo sie ihrer schlimmsten Angst begegneten: Ihre neunjährige Tochter Wendy stand mit vor Entsetzen verzerrtem Gesicht da, in den Klauen des einzigen Mannes, der es nicht für nötig hielt, sich zu maskieren.
    Raoul Navarro.
    Der Mann, von dem kaum Fotos existierten, der, von dem die Behörde bisher nur ein paar körnige, veraltete Aufnahmen besaß. Und doch stand er jetzt hier in Corliss’ Wohnzimmer und machte sich nicht einmal die Mühe, sein Gesicht zu verbergen.
    Das ließ nichts Gutes ahnen.
    Der Mexikaner umklammerte mit einem Arm Wendys Hals und hielt ihr mit der anderen Hand ein kleines, schmales Messer an die Kehle. Klein, wie es war, wirkte es nicht weniger bedrohlich. Die schlanke Klinge glänzte unheilvoll.
    «Sie haben mir etwas abgenommen», sagte Navarro. «Ich will es zurück.»
    Zuerst begriff Corliss in seinem Schock nicht, was der Mann wollte. Er bat ihn, seine Tochter freizugeben, versprach, ihm alles zu geben, was er verlangte, und forderte ihn auf zu erklären, worum es ging.
    «McKinnon», erwiderte Navarro mit kalter Stimme.
    Mit einem Schlag begriff Corliss.
    «Das Tagebuch», murmelte er. «Ich habe es. Es ist dort.» Er zeigte auf den Eckschrank und bat Navarro mit dem Blick um Erlaubnis, es zu holen.
    Navarro nickte knapp, und Corliss durchquerte den Raum. Sein Atem ging kurz und stoßweise, während er mit zitternden Fingern das alte Buch mit dem abgewetzten Ledereinband hervorkramte.
    Das Buch, das er von einem Analysten der Behörde hatte übersetzen lassen.
    Dessen Inhalt er geheim gehalten hatte.
    Er hielt es hoch wie eine Trophäe.
    «Hier», sagte er und näherte sich mit zögernden Schritten seinem Peiniger, ein Bittsteller, der dem Henker entgegentrat. «Bitte lassen Sie sie jetzt los.»
    Navarro nickte einem seiner Männer zu, woraufhin dieser Corliss das Buch abnahm und es in seinen Rucksack steckte.
    «Bitte», wiederholte Corliss.
    Navarro lächelte, ein grausames Lächeln, das eisiger ins Mark ging als jedes Stirnrunzeln.
    «Halten Sie mich für einen
baboso?
»
    Corliss verstand nicht.
    «Ich bin nicht deshalb gekommen.» Navarro fixierte ihn mit mörderischem Blick, während er Wendy fester packte und ihr die Klinge an den Hals drückte.
    Corliss sah, wie Wendys Schlagader anschwoll. «Nein, bitte, ich weiß nicht, was –» Dann verstand er, und seine Eingeweide krampften sich zusammen. Er wusste, was Navarro wollte. Und die Erkenntnis traf ihn wie ein Stromschlag.
    «Ich habe es nicht», versicherte er dem Mexikaner. «Wir haben es nicht. Wir konnten es nicht sicherstellen.»
    «Blödsinn.» Wieder verstärkte er den Druck der Klinge.
    «Ich schwöre Ihnen, wir haben es nie in die Hände bekommen. Das Notebook war mit einem Passwort gesichert, wir konnten es nicht knacken. Die Festplatte wurde gelöscht. Ich versichere Ihnen, wir haben es nicht.»
    «Ich fordere Sie nicht noch einmal auf.»
    Corliss suchte verzweifelt nach einem Ausweg, aber ihm fiel nichts ein. «Bitte. Sie müssen mir glauben. Ich würde es Ihnen ja geben, wenn ich es hätte. Ich würde Ihnen alles geben, was Sie verlangen. Nur tun Sie ihr nichts. Bitte.»
    Und dann sah er es. Navarros Augen wurden schmal, seine Kiefermuskeln spannten sich an. Er stieß zischend die Luft aus. Und verstärkte wiederum seinen Griff um Wendys Hals – und um das Messer.
    «Okay. Wie Sie wollen», sagte Navarro.
    Corliss stürzte sich auf ihn.
    «Nein!»
    Er warf sich mit ausgestreckten Armen nach vorn, um seine Tochter zu packen und der Bestie zu entreißen. Gleichzeitig sprangen Navarros Männer auf ihn zu, während der erschrockene Mexikaner hastig zurückwich –
    Und inmitten des Getümmels, in diesem Augenblick des Irrsinns, sah Corliss die Klinge in Wendys Hals dringen, sah Blut hervorsprudeln, sah, wie sie angstvoll die

Weitere Kostenlose Bücher