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Memoria

Memoria

Titel: Memoria Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raymond Khoury
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worden.
    Und jetzt das.
    Es würde ihr weh tun, ohne jeden Zweifel.
    Und es war eine Sache, die einen Keil zwischen zwei Partner treiben konnte – etwas, das ich um alles in der Welt vermeiden wollte. Tess war mein Leben. Aber mir war klar, das plötzliche Auftauchen einer Exfreundin mit einem kleinen Kind würde bestenfalls für ständige Reibungen sorgen und schlimmstenfalls unsere Beziehung zerstören. Erschwerend kam hinzu, dass Michelle Martinez intelligent, witzig, äußerst attraktiv war und – das war Schlimmste – dass ich Tess nie von ihr erzählt hatte. Ich hatte diesen ganzen Abschnitt meines Lebens ausgeblendet. Und ganz gleich, wie attraktiv Tess selbst ist – denn das ist sie, ich würde sie als
strahlende Erscheinung
beschreiben –, und obwohl sie wusste, dass ich ganz verrückt nach ihr war, würde sie diese Episode aus meiner Vergangenheit unweigerlich als Bedrohung empfinden. Das täte wohl jeder. Verdammt, ich selbst zweifellos auch. Und auch diesmal würde es mir sicher schwerfallen, sie davon zu überzeugen, dass sie sich keine Sorgen zu machen brauchte. Dabei brauchte sie das wirklich nicht. Michelle war schon eine ernsthafte Flamme gewesen, aber Tess war nun einmal das ganze Feuerwerk.
    Ich blickte diesem Gespräch also nicht gerade freudig entgegen, auch wenn ich schon dabei war, es mir auszumalen. Während ich auf den Parkplatz fuhr, traten allerdings noch viel düsterere Gedanken in den Vordergrund und verdrängten die Sorge um Tess. Ich dachte an Michelle und einen kleinen Jungen, den ich noch nie gesehen hatte, und an die Gefahren, die um die beiden lauerten.
    Mich beschlich das ungute Gefühl, dass ich vielleicht doch besser einen Jet genommen hätte.

Kapitel 5
    San Diego, Kalifornien
    Als die Tür sich öffnete, stockte mein Herz.
    Nicht im negativen Sinn. Es war eher ein ‹Oh mein Gott›, ein Überwältigtsein von Eindrücken. Absolut positiven Eindrücken.
    Sie hatte es noch immer, das gewisse Etwas. Die glatte, honigfarbene Haut, die leichten Sommersprossen auf ihrer schmalen Nase und den hohen Wangenknochen. Die überwältigend blauen Augen, durch die man auf die Intelligenz und Durchtriebenheit dahinter blickte. Den straffen, kurvenreichen Körper, dessen Anblick jedem Mann den Atem rauben musste. Alles war genau so, wie ich es in Erinnerung hatte.
    Aber das war es nicht, was mein Herz stocken ließ.
    Es war der vierjährige Junge, der reglos neben ihr stand, ihre Hand fest umklammert hielt und mich anstarrte.
    Bei seinem Anblick vergaß ich zu atmen.
    Als Michelle sagte, Alex sei vier, war mir nicht wirklich klar gewesen, wie klein ein Vierjähriger ist. Wie winzig und wie zerbrechlich. Ich hatte einfach noch nie viel mit Kindern in dem Alter zu tun gehabt. Ich selbst hatte weder Nichten noch Neffen, und Kim war fast zehn, als meine Beziehung mit Tess begann. In meiner Behörde gab es zwar Kollegen, die kleine Kinder hatten, aber abgesehen von Aparo hatte ich mit niemandem dort wirklich Kontakt. Daher mein Schock und meine Scheu. In diesem Moment, dort in dem nüchternen, tristen Hotelflur, ging mir das Herz auf, wie ich es noch nie erlebt hatte. Ich wusste einfach, dass Alex mein Sohn war.
    «Willst du jetzt noch lange hier rumstehen wie ein
burro,
oder nimmst du mich vielleicht mal in den Arm?», fragte Michelle.
    Ich riss meinen Blick von Alex los und sah ihr in die Augen. Ihrem forschen Auftreten zum Trotz lag darin eine schwelende Angst. Kaum wahrnehmbar, man musste Michelle schon gut kennen, aber mir entging sie nicht. Ich lächelte, fasste sie an den Schultern und zog sie an mich, um ihr einen Kuss zu geben, einen etwas verlegenen Kuss, nicht direkt auf die Lippen, aber auch nicht wirklich auf die Wange. Sie umarmte mich fest und vergrub ihren Kopf in meiner Halsgrube.
    Hoffentlich hasst man mich nicht dafür, dass ich das sage, aber ich will nicht lügen: In diesem Augenblick fühlte sich das großartig an. Irgendwie schräg, ja, aber großartig.
    Dann fühlte ich ihr Zittern, und jegliche Vorstellung von ‹großartig› löste sich in Luft auf.
    Wir standen einen langen Moment so da, atmeten einander ein, durchströmt von einer Sturmflut verwirrender Gefühle, einer nicht abgeschlossenen Vergangenheit, die auf eine brutale Gegenwart prallte, standen schweigend da und dehnten den angenehmen Teil unseres Wiedersehens aus in dem Wissen, dass uns bald der eigentliche Grund dieser Begegnung einholen würde. Schließlich lösten wir uns voneinander, sahen einander

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