Memoria
Bilder irgendwie anders wirkten als normale Kinderzeichnungen, aber andererseits waren sie auch nicht so außergewöhnlich. Etwas, das er gesagt hat, überraschte mich allerdings. Nur habe ich mir bis zu dem Gespräch mit seiner Mutter nicht viel dabei gedacht.»
Tess horchte auf. «Was hat er denn gesagt?»
«Wir waren draußen im Park, und ich habe die Kinder dort die Blumen malen lassen. Da hat Alex eine ganz prächtige weiße Blume gemalt. Aber als ich ihn fragte, welche es sein sollte, sagte er, es sei keine von den Blumen im Park. Und dann hat er noch etwas gesagt. Er sagte: ‹Die sagen, sie macht das Herz gesund, aber in Wirklichkeit macht sie die Leute tot.›»
Tess stutzte. Was für Fernsehprogramme sah der Junge? «Eine Blume, die Menschen tötet?»
«Ja, seltsam, nicht wahr? Aber als ich ihn fragte, wie er das meinte, wollte er es nicht sagen. Das war schon auffällig, denn in letzter Zeit hatte ich den Eindruck, dass er sich besser ausdrücken kann und einen größeren Wortschatz hat als die anderen Kinder in seiner Gruppe. Aber in diesem Fall wollte er nichts sagen.»
«Und wie ist das Gespräch mit seiner Mutter ausgegangen?»
«Ich habe ihr versprochen, mich bei ihr zu melden, falls er irgendetwas Ungewöhnliches sagte oder täte oder irgendwie unglücklich wirkte. Ein paarmal habe ich sie gesehen, wenn sie ihn brachte. Sie sagte, sie ginge mit ihm zu einem Spezialisten, aber Näheres hat sie nicht erzählt.»
«Sie meinen, zu einem Psychologen?»
«Ja, zu einem Kinderpsychologen. Privat. Sie wollte nicht, dass das in der Schule bekannt wurde. Damit Alex nicht irgendwie abgestempelt würde. Sie wissen ja, wie das ist.»
Tess kannte diesen Druck. «Wissen Sie, wer dieser Psychologe war?»
«Nein.»
«Hat sie irgendetwas über ihn gesagt?»
Ms. Fowden überlegte, ehe sie erwiderte: «Nein, tut mir leid. Ich hatte das Gefühl, dass sie es mir gegenüber eigentlich gar nicht hatte erwähnen wollen, es ist ihr wohl so herausgerutscht.»
Tess brauchte wenigstens irgendeinen Anhaltspunkt. «War es ein Mann oder eine Frau?»
Ms. Fowden dachte kurz nach, dann sagte sie: «Ein Mann. Ja, ich bin ziemlich sicher, dass sie von ‹ihm› gesprochen hat.»
Tess bedankte sich, ließ sich die Telefonnummer der Lehrerin geben und beendete das Gespräch.
Viel hatte sie nicht in der Hand. Einen Vornamen, der möglicherweise der eines Psychologen in der Gegend war.
Tess ging zurück ins Wohnzimmer. Jules hatte inzwischen ihre Telefonkonferenz beendet und spielte mit Alex. Tess wollte sie nicht stören. Nach kurzem Zögern nahm sie ihr iPad, ging wieder ins Schlafzimmer, startete den Browser und begann eine Suche nach Psychologen in der Umgebung von San Diego, die mit Vornamen Dean hießen.
Kapitel 38
Wir landeten um halb sechs auf dem Hooper Heliport und fuhren mit dem Aufzug ins Erdgeschoss hinunter. Der FBI -Dienstwagen, ein Suburban, erwartete uns bereits. Unser Ziel lag nur fünf Meilen außerhalb der Stadt. Während wir nach Norden in Richtung der Berge fuhren, lieferte uns der Agent auf dem Beifahrersitz ein paar Fakten über die Klinik.
«Die Einrichtung wurde vor rund zwanzig Jahren von Ursula Marshall gegründet, sie finanziert sich durch eine Stiftung. Es gibt zwanzig Betten, weitere zehn Patienten werden halbstationär betreut. Ursulas Tochter war damals von zu Hause ausgerissen und starb mit neunzehn an einer Überdosis. Ursulas Vater gehörte früher ein großer Teil des Staatsgebiets von Washington, und Ursula war das einzige Kind. Sie hat einen Teil ihres Erbes für die Klinik verwendet.»
«Und Frye arbeitet Vollzeit dort?», erkundigte ich mich.
«Wie es scheint, leitet er die Einrichtung. Er ist in verschiedenen Funktionen tätig, unter anderem auch als Therapeut. In der Klinik werden viele Veteranen behandelt.»
«Den Soldaten lieben, den Krieg hassen», bemerkte Munro mit unverhohlenem Sarkasmus.
Offenbar hatte sich seine Einstellung seit unserer letzten Zusammenarbeit nicht geändert: Der Krieg sei nicht vorbei, ehe nicht jeder einzelne gegnerische Kämpfer tot sei, egal ob es sich um den Golfkrieg handelte, den Krieg gegen den Terror oder den Krieg gegen Drogen. Im Augenblick war es mir allerdings ziemlich gleichgültig, was er dachte, solange er Pennebaker nicht verärgerte.
Wir fuhren von der Griffin Avenue ab und höher in die Monterey Hills hinauf. Ein atemberaubender Ausblick, nur ganz vereinzelt waren Häuser zu sehen. Wenn man einen abgeschiedenen Ort suchte, der
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