Mensch ohne Hund: Roman (German Edition)
mehr und nicht weniger. Henrik Grundt und er hatten einige Wochen lang im November und Dezember eine Beziehung gehabt. Henrik war verschwunden, Jens war nach Südostasien gefahren, diese beiden Dinge hatten nichts miteinander zu tun.
Was Walter betraf, war die Lage genauso hoffnungslos. Gunnar Barbarotti konnte nicht mehr sagen, mit wie vielen Personen in Kymlinge er in den vergangenen Wochen gesprochen hatte, sicher an die zweihundert – dafür wusste er aber, wie das Ergebnis aussah.
Null und nichtig. Als Walter Hermansson seine Elternstadt vor fünfzehn, sechzehn Jahren verlassen hatte, schien er auch alle Verbindungen gekappt zu haben. Kein einziger von den bisher Befragten war auch nur ein einziges Mal während der letzten zehn Jahre mit dem vermissten Dokusoap-Star in Kontakt gewesen. Wurde zumindest behauptet.
Wir stecken fest, dachte Inspektor Barbarotti. Wir stecken verdammt noch mal bombenfest.
Und wie eine Art umgekehrter Bestätigung gerade dieser Feststellung kam genau in diesem Moment die Stewardess und machte ihn darauf aufmerksam, dass er vergessen hatte, den Sicherheitsgurt anzulegen.
Rosemarie Wunderlich Hermansson eilte den Hagendalsvägen hinauf. Der Wind wehte ihr ins Gesicht, er kam aus Nordwest, es war zwölf Grad minus, und sie hatte das Gefühl, gleich zu sterben, wenn sie nicht bald ins Warme kam.
Vielleicht gar kein dummes Ende, wenn man es recht betrachtet? Auf dem vereisten Bürgersteig zwischen HSBs Regionalbüro und Bellis Blumenladen zusammenzusinken und seinen letzten Atemzug an einem dunklen, saukalten Januarnachmittag zu tätigen. Es war schwer zu sagen, was sie während des letzten Monats eigentlich am Leben gehalten hatte, wirklich schwer. Seit dieser schrecklichen Weihnachtswoche hatte sie das Gefühl, gar nicht mehr richtig zu existieren. Es war, als wäre die Seele aus ihrem Körper herausgezogen worden und nur noch die Hülle übrig, dieses zerbrechliche, fast vertrocknete, verlebte Gespenst aus Haut und Knochen, das sich momentan die letzten Meter zu Maggies Damenfrisiersalon an der Ecke zur Kungsgatan hinaufkämpfte – ohne selbst zu wissen, warum um alles in der Welt sie nicht angerufen und den Termin abgesagt hatte, den sie wie üblich schon bei ihrem letzten Besuch ausgemacht hatte.
Aber letztlich war das gleich, sie verstand sowieso nicht mehr viel von dem, was um sie herum vor sich ging, nicht, warum sie morgens aufstand, nicht, warum sie für das Mittag-und Abendessen einkaufte, nicht, warum sie jeden Abend zusammen mit Karl-Erik einen Spanischkursus besuchte – die Phrasen flatterten ihr wie verirrte, fremde Vögel durch den Kopf, ins eine Ohr rein, zum anderen Ohr wieder raus, ganz zu schweigen von den Verbformen. Bevor sie ins Bett ging, nahm sie eine Schlaftablette, die sie genau fünf Stunden schlafen ließ. Zwischen vier und halb fünf Uhr wachte sie auf und versuchte dann, diese vollkommen leeren Sekunden nach dem Aufwachen, wenn ihr Gedächtnis noch rein war, hinauszuzögern. Wenn sie sich nicht daran erinnerte, was passiert war, kaum wusste, wer sie war. Aber die Sekunden wurden nie mehr als Sekunden, manchmal sogar noch weniger.
Und dann lag sie da auf der Seite, die Hände zwischen die Knie geschoben, abgewandt von ihrem Ehemann und ihrem ganzen Leben – während sie in Richtung Fenster starrte, auf die summende Heizung und die traurigen Gardinen, und auf das Morgengrauen wartete, das ihr genauso fern erschien wie die Antwort auf die Frage, was mit ihrem Sohn und ihrem Enkelsohn an diesen schrecklichen Tagen im Dezember geschehen war, als ihr die Seele aus dem Körper gerissen worden war, so dass nur noch dieses leblose Gespenst zurückblieb … und auf diese Art und Weise flatterten ihr die Gedanken im Kopf herum wie eine andere Art äußerst erschöpfter Vögel, die kamen und wieder davonflogen, davonflogen und kamen, und wie war es eigentlich möglich, einen Morgen von dem anderen zu unterscheiden, das eine Aufwachen von dem vierten oder dem achten, das war auch eine dieser Fragen, die sich keinerlei Mühe gaben, ihre Antwort zu finden.
Sie schob die Tür auf und trat ein. Sah, dass alle vier Stühle vor den Spiegeln besetzt waren, aber Maggie Fahlén bedeutete ihr mit einem Nicken, sich doch hinzusetzen und zu warten, es sei nur noch eine Frage von ein paar Minuten. Sie hängte Hut und Mantel auf, ließ sich auf dem kleinen Stahlrohrsofa nieder und griff sich eine alte Nummer von Svensk Damtidning mit einem Sommerfoto von Prinzessin
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