Mensch ohne Hund: Roman (German Edition)
lauschte, schien ihm, dass gerade diese Tatsache – diese nicht existierende Tatsache – das Merkwürdigste an diesem ganzen Fall war.
Denn was hatte es zu bedeuten? Wenn Henrik sich wirklich verabredet hatte, jemanden in der Nacht zu treffen, dann musste er doch eine Methode gehabt haben, diese Verabredung zu treffen? Wie?, kurz gesagt. Die Polizei hatte sich seines Computers in der Karlsrogatan in Uppsala angenommen und seine persönlichen Mails gewissenhaft gelesen – aus denen mit einer gewissen Deutlichkeit hervorging, dass er Ende November und Anfang Dezember homoerotische Erfahrungen gemacht hatte -, aber nichts hinsichtlich einer Verabredung, eines nächtlichen Treffens in Kymlinge gefunden. Henrik Grundt hatte nicht telefoniert, zumindest nicht von seinem eigenen oder dem Telefon seiner Großeltern aus: Das Einzige, was noch blieb, soweit Gunnar Barbarotti die Lage deuten konnte, war, dass er den Betreffenden getroffen und die Sache mit ihm sozusagen von Angesicht zu Angesicht ausgemacht hatte.
Aber wann ? Wann war in diesem Fall die Verabredung getroffen worden?
Und natürlich, noch grundlegender: mit wem? Wen zum Teufel hatte Henrik Grundt in Kymlinge treffen wollen? Sein kleiner Bruder hatte ja auch darauf hingewiesen: Er kannte keine Menschenseele dort. Konnte es sein, dass es sich um einen Bekannten aus Uppsala handelte, mit dem er das Stelldichein verabredet hatte? Ein Bekannter, der sich auch in dieser Landesecke aufhielt, um Weihnachten zu feiern?
Ein anderer homosexueller Partner als Jens Lindewall?
Verdammter Mist, wie schon gesagt. Und hing das wirklich nicht mit Walters Verschwinden in der Nacht davor zusammen? Wenn zwei Personen in einem Ort mit knapp 70 000 Einwohnern von derselben Adresse verschwinden, und das in einem Zeitraum von nur vierundzwanzig Stunden, konnte dann ein geistesschwacher Tölpel nicht den Schluss daraus ziehen, dass es einen Zusammenhang geben müsste?
Ich bin das Ganze so leid, stellte Gunnar Barbarotti fest, als er das Saftpäckchen und das eingeschweißte Butterbrot von der Stewardess entgegennahm. In dieser Geschichte lassen sich endlos viele Varianten finden. Aber keine erscheint auch nur im Geringsten glaubwürdig, und keine hat etwas mit den Tatsachen zu tun. Wie … ja, wie Phantasielandkarten eines unbekannten Kontinents, so erschien das alles.
Was?, dachte er verwirrt. Phantasielandkarten eines unbekannten Kontinents? Das war ein ziemlich treffendes Bild für alles Mögliche. Er wollte es in Erinnerung behalten, um es bei passender Gelegenheit anzuwenden, damit Eva Backman vor Verblüffung erblasste: Also, meine Liebe, jetzt entwirfst du aber Phantasielandkarten eines unbekannten Kontinents!
Nicht schlecht.
Aber etwas, zumindest irgendetwas musste doch »that damned elusive Lindewall« beitragen können, wenn er endlich am nächsten Morgen in aller Frühe aus dem Dschungel Borneos landete?
Man hatte zumindest das Recht, das zu wünschen.
Zufrieden mit diesen intelligenten Schlussfolgerungen, öffnete Inspektor Barbarotti die Pappverpackung und kippte sich Saft auf die Hose.
23
D as ist typisch, dachte Gunnar Barbarotti, nachdem er im Radisson in Arlanda Sky City eingecheckt war. Wenn man schon mal in einem ansehnlichen Hotel absteigt, kommt man erst um zehn Uhr abends an und muss morgens schon um sechs Uhr wieder hoch. Dann hätte ich mich ja gleich irgendwo auf einem Sofa aufs Ohr hauen können.
Als er unter die kühlen, frisch gemangelten Laken gekrochen war und das Licht gelöscht hatte, betete er ein Existenzgebet.
O großer Gott, wenn es dich wirklich gibt – was zur augenblicklichen Stunde ja der Fall ist, aber mit nicht besonders großem Vorsprung, vergiss das nicht -, dann sorge doch dafür, dass das Flugzeug aus Bangkok morgen früh so um die vier, fünf Stunden später landet, damit ein armer, hart arbeitender Kriminaler es schafft, ein einziges Mal in seinem geistlosen Leben ein ordentliches Hotelfrühstück zu sich zu nehmen! Mehr als einen Punkt kann ich für diese Kleinigkeit nicht bieten, aber ich wäre dankbarer dafür als du, o großer Gott, ahnen kannst. Gute Nacht, ich werde mich um Viertel vor sechs wecken lassen, dann kann ich die Fluginformationen abfragen, sobald ich die Augen öffne.
Das Flugzeug aus Bangkok landete fünf Minuten vor der angegebenen Zeit.
Bei Inspektor Barbarotti hatte es gerade fürs Duschen und eine Tasse Kaffee gereicht, das war alles. Jetzt saß er mit Tasse Kaffee Nummer zwei auf dem Tisch in
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