Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mensch ohne Hund: Roman (German Edition)

Mensch ohne Hund: Roman (German Edition)

Titel: Mensch ohne Hund: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Håkan Nesser
Vom Netzwerk:
können Sie erst einmal außer Acht lassen.«
    »Was wollen Sie wissen?«
    »Ich will alles wissen«, sagte Gunnar Barbarotti.
     
    Das wollte er natürlich nicht – und bekam es glücklicherweise auch nicht zu wissen -, aber als er den jungen Mann fünfundvierzig Minuten später aus dem Vernehmungsraum entließ, meinte er dennoch, genügend erfahren zu haben.
    Jens Lindewall war 26 Jahre alt. Er arbeitete in einem Werbebüro in Uppsala, und er war ebenso lange homosexuell, wie er überhaupt ein Sexualleben hatte. Er hatte eine längere Beziehung gehabt (elf Monate), die im September zu Ende gegangen war, und im Kielwasser dieser Havarie war Henrik Grundt aufgetaucht. Sie hatten sich an einem Freitag im November in der Musikkneipe Katalin hinter dem Hauptbahnhof kennen gelernt, waren am gleichen Tisch gelandet und hatten angefangen, sich miteinander zu unterhalten. Henrik Grundt war sich über seine sexuellen Veranlagungen nicht so recht bewusst gewesen, aber das wurde er im Laufe des Abends – um eine ziemlich kurze Geschichte noch kürzer zu machen. Anschließend waren sie ungefähr einen Monat lang zusammen gewesen, sie hatten sich jedes Mal in Jens’ Zweizimmerwohnung in der Prästgårdsgatan getroffen, nie in Henriks Zimmer im Triangeln. Jens gab unverblümt zu, dass er sich augenblicklich heftig in den jungen Jurastudenten verliebt hatte, und er hatte das Gefühl, dass seine Liebe erwidert wurde. Er gab gleichzeitig zu, dass Henrik Grundt gewisse Probleme hatte, seine Homosexualität zu akzeptieren. Offensichtlich hatte er frühere, ziemlich traurige Erfahrungen mit dem anderen Geschlecht gemacht, und wenn Jens eine Einschätzung wagen sollte, würde er behaupten, dass Henrik sich ungefähr im Verhältnis von 65:35 im Homo-Hetero-Bereich befand – was, wenn Barbarotti ihn richtig verstand, bedeutete, dass er in der besten aller Welten jedes dritte Mal mit einer Frau zusammen war, die anderen beiden Male mit einem Mann. Barbarotti war nie zuvor mit so einer Beurteilungsskala konfrontiert worden, notierte sie sich aber dennoch gewissenhaft auf seinem Notizblock. Kein Tag, an dem man nicht etwas Neues lernt, dachte er.
    Das letzte Mal trafen Jens und Henrik sich am 17. Dezember, ein Tag, bevor beide heim zu ihren Eltern nach Hammerdal beziehungsweise Sundsvall fuhren. Nach diesem Datum hatten sie noch mehrere Male miteinander telefoniert und sich diverse SMS geschickt. Die vier letzten Mitteilungen waren von Jens Lindewall am 21. und 22. Dezember abgeschickt worden, er hatte jedoch keine Antwort darauf erhalten. Gunnar Barbarotti konnte sich nicht zurückhalten, er musste fragen, wie er es denn auf der Reise mit der Liebe gehalten habe, und Jens Lindewall antwortete offenherzig, dass es ihm gut gegangen sei.
    »Dann waren Sie also kein Paar, Henrik und Sie?«
    »Wir haben uns die Freiheit gelassen«, erwiderte Jens Lindewall. »Das ist eines der größten Geschenke.«
    Als Barbarotti fragte, ob es ihn denn nicht beunruhige, dass Henrik verschwunden war, bekam er zur Antwort, dass dem natürlich so sei, aber er würde sicher wieder auftauchen. Menschen hätten nun einmal ab und zu das Bedürfnis, alleine zu sein, besonders junge Menschen, das hatte Jens Lindewall durch Erfahrung gelernt.
    Nach dem Gespräch mit dem flotten Globetrotter eilte Inspektor Barbarotti zurück zum Frühstücksbüfett im Radisson, es blieben noch anderthalb Stunden bis zu seinem Abflug nach Landvetter, und er war hungrig wie ein Wolf.
     
    Das Flugzeug war nur eine halbe Stunde verspätet, aber er hatte dennoch genügend Zeit, den Fall gedanklich durchzugehen. Oder die Fälle. Er konnte sich immer noch nicht entscheiden, ob es sich nun um einen Fall oder zwei handelte, aber da die Ermittlungen sowieso auf keinem der Gleise auch nur einen Zentimeter weiterkamen, war das auch schon egal.
    Auf jeden Fall hatte er nicht das Gefühl, dass seine Gespräche mit Kristoffer Grundt und Jens Lindewall besonders viel Licht auf die Dinge geworfen hätten. Was an diesen Tagen in der Allvädersgatan in Kymlinge passiert war, blieb ein Rätsel. Als Henrik sich in der Nacht des 20. Dezember aus dem Haus begeben hatte, schien es sich um eine höchst bewusste und geplante Aktion gehandelt zu haben. Er hatte seinen Bruder gebeten, darüber zu schweigen, aber warum er das Haus seiner Großeltern verließ – und zu wem er wollte -, ja, darüber wusste man immer noch nicht die Bohne.
    Und Jens Lindewall hatte nur bestätigt, was man bereits wusste. Nicht

Weitere Kostenlose Bücher