Mensch ohne Hund: Roman (German Edition)
Hermanssons traurige Geschichte war ja inzwischen definitiv ad acta gelegt.
Blieb noch Henrik Grundt. Blieb noch, überhaupt zu irgendeinem Ergebnis zu kommen. Gunnar Barbarotti seufzte und trank noch ein Schlückchen. Offiziell gesehen liefen die Ermittlungen immer noch, doch der existierende Gott musste wissen, dass sie nur mit halber Kraft liefen. Oder einem Viertel. Oder einem Achtel. Seit August war nicht die Bohne passiert, an polizeilicher Arbeit war eigentlich nur zu vermelden, dass die Inspektoren Barbarotti und Backman den Fall ein oder zwei Mal in der Woche diskutierten. Ihre Frustration ausdrückten und feststellten, dass nichts Neues passiert war.
Aber, wie Eva festzustellen pflegte, wie zum Teufel sollte auch etwas in einer Ermittlung passieren, wenn niemand etwas tat? Warten wir auf einen neuen Busunfall in Oslo oder was?
Er merkte, dass die Gedanken an den Fall Gefahr liefen, seine Lebensgeister deutlich zu dämpfen. So war es immer. Über unlösbare Probleme zu grübeln, hatte er sich vielleicht während der Schulzeit erlauben dürfen, aber es war definitiv nichts für einen Kriminalbeamten im Erwachsenenalter. Er trank sein Glas aus. Dachte an die goldene Regel, dass ein Rausch so lange positiv wirkt, solange die Alkoholmenge im Blut ansteigt, und negativ, wenn sie zu sinken beginnt. Die Rede lief immer noch weiter, es war ein jovialer Kindheitsfreund des Bräutigams, der ein fast ebenso unverständliches Dänisch sprach wie Barbarottis Tischdame – aber zum Schluss wenigstens einen Toast ausbrachte. Gunnar hob sein leeres Glas, schaute nach rechts, nach links und geradeaus, wie es ihm beigebracht worden war … und gerade als er das Trinken simulierte, bekam er Augenkontakt mit dem rothaarigen Gegenüber. Sie blinzelte ihm lächelnd zu.
Ich muss sie fragen, dachte er. Das ist das Mindeste, was ich tun kann.
Aber ich glaube, ich mache es erst einmal besser unter vier Augen.
»Ein bisschen frische Luft tut gut.«
Ihre Behauptung wurde ein wenig dadurch Lügen gestraft, dass sie im gleichen Moment einen tiefen Zug von ihrer Zigarette nahm. Sie standen draußen auf dem großen Balkon, es war wenige Minuten vor zwölf. Die Tafel war aufgehoben worden, und im Festsaal wurde für den bevorstehenden Tanz nach Leibeskräften umgeräumt. Der Regen hatte aufgehört, er lehnte die Ellbogen auf die brusthohe Steinbalustrade, schaute auf die nassglänzenden Straßen, die Nebelfäden und das gelbe Licht und dachte, dass auch Novemberabende ganz schön sein können. Auf eigenartige Art und Weise weichherzig. Marianne hatte ihn allein gelassen, um sich in der Puderschlange einzureihen, und er hatte sich eine Flasche Bier an der soeben eröffneten Bar besorgt.
»Zweifellos. Aber es war schön da drinnen.«
Sie nickte.
»Ich muss Sie nach Ihrem Namen fragen.«
»Meinem Namen?«
»Ja. Sie heißen Annica Willnius, oder?«
»Kommt da wieder der Kriminaler durch?«
»Nein, nein. Aber ich bin vor einer Zeit auf einen Jakob Willnius gestoßen. Es muss ein Verwandter von Ihnen sein, oder?«
Sie nahm einen neuen Zug. Schien etwas abzuwägen.
»Mein früherer Mann.«
»Ach?«
»Was hat er angestellt?«
Gunnar Barbarotti musste lachen. »Nichts. Er war nur Betroffener bei einer Ermittlung. Man trifft unglaublich viele Menschen in meinem Job.«
»Das kann ich mir denken. Nun ja, wir haben uns vor fünf Jahren scheiden lassen. Ich habe nichts mehr mit ihm zu tun. Er wohnt wohl immer noch in Stockholm, mit seiner Neuen, wie ich annehme … und ich wohne mit meinem Neuen in London. That’s life, oder wie man so sagt, nicht?«
»Im einundzwanzigsten Jahrhundert, ja«, vervollständigte Gunnar Barbarotti. »Ja, ich bin sozusagen auf dem gleichen Weg.«
Das war dreist gesagt, ihm war klar, dass der Alkohol ihm dabei geholfen hatte. Sie nickte und schaute ihn einen Moment nachdenklich an. »Aber ich habe seinen Namen behalten. Als Mädchen hieß ich Pettersson wie die Hälfte aller Schweden, und meine neue Flamme heißt Czerniewski. Was halten Sie von Annica Czerniewski?«
»Ich selber heiße Gunnar Barbarotti«, sagte Gunnar Barbarotti.
Sie lachte. Er lachte. Wie schön es doch ist, wenn Leute ein wenig beschwipst sind, dachte er. Dass wir immer diese Hemmungen mit uns herumschleppen müssen. Sie hatte ein Weinglas mit hinausgenommen, jetzt hob sie es.
»Prost. Sie scheinen ein netter Bulle zu sein, wie es aussieht.«
»Sie auch … aber Sie sind sicher nicht bei der Bullerei?«
Er nahm einen Schluck
Weitere Kostenlose Bücher