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Mensch ohne Hund: Roman (German Edition)

Mensch ohne Hund: Roman (German Edition)

Titel: Mensch ohne Hund: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Håkan Nesser
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versuchte sich den Weg die Kehle hinauf zu bahnen.
    Er musste es unterdrücken. Beschloss, lieber so zu tun, als schlafe er, daran konnte sich ja wohl niemand stören, oder? Er schloss die Augen und lehnte den Kopf an die Fensterscheibe. Der Zug bremste. Eine metallische Stimme teilte mit, dass man Skanstull erreicht hatte. Noch fünf Stationen, dachte Kristoffer. Er hatte sie auswendig gelernt. Gullmarsplan. Skärmarbrink. Blåsut. Sandsborg. Dann Skogskyrkogården. Dort musste er aussteigen. Vielleicht konnte er eine Runde über den Friedhof machen, nach dem die Station ihren Namen hatte. Eine Weile zwischen den Gräbern herumstreifen, der Friedhof sollte nach allem, was er gehört hatte, ziemlich groß sein. Vielleicht war das eine gute Vorbereitung für einen Mörder? Und dort vielleicht ein Schießversuch?
    Nein, das war zu viel. Man läuft nicht auf einem Friedhof herum und schießt scharf. Aber dort herumstreifen und sich sammeln, so würde es wohl ablaufen. Ein paar Zigaretten rauchen, etwas später irgendwo ein Würstchen und einen Schokoriegel kaufen, er hatte genug Geld, und sich dann wirklich konzentrieren. Versuchen, warm zu bleiben.
    Und dann zum Nynäsvägen, wenn es zwölf wurde. Nach Gamla Enskede und weiter zum Musseronvägen. Findest du, es ist ein guter Plan, Henrik?, fragte er in sich selbst hinein.
    Der Zug bremste erneut schrill quietschend, und Henrik antwortete, das sei ein verdammt guter Plan.
     
    Es gab im Vassrogga-Heim keine offiziellen Besuchszeiten, und eigentlich war Besuch überhaupt nicht erwünscht. Man ging davon aus, dass ungeplante Besuche von der Außenwelt die Behandlung störten, aber im Falle Benita Ormson machte man am Freitagabend eine Ausnahme. Benita Ormson war nicht nur eine gute alte Freundin von Ebba Hermansson Grundt, sie war außerdem selbst als Psychiaterin tätig. Vielleicht ein wenig zu stark in die kognitive Richtung orientiert, sie war jedenfalls kein unbekannter Name – aber es wurde davon ausgegangen, dass es die Patientin nicht nennenswert negativ beeinflussen würde, wenn eine Stunde Besuchszeit erlaubt wurde. Es war sowieso Freitag, und anfangs war ja geplant gewesen, dass Frau Hermansson Grundt die Wochenenden gemeinsam mit ihrer Familie verbringen sollte.
    Benita Ormson brachte ihrer alten Freundin und Studienkollegin zwei Geschenke mit, und als sie allein im Zimmer waren, packte sie sie aus. Das eine war eine Tüte Mariannekaramellen, das andere war eine Bibel.
    »Ich bin nicht gläubig«, erklärte Ebba.
    »Ich auch nicht«, nickte Benita Ormson. »Würde nie auf die Idee kommen. Aber mit der Bibel ist es etwas anderes, weißt du.«
    »Hm«, sagte Ebba.
    »Wie geht es dir?«, wollte Benita Ormson wissen. »Wirklich?«
    »Was meinst du mit ›wirklich‹?«
    »Ich meine, dass ich es so verstanden habe, dass du gern hier bist und dass du intelligent genug bist, dir dafür einen Grund zu beschaffen.«
    Ebba schwieg und dachte eine Weile nach. »Ein scharfer Intellekt ist wirklich ein überschätzter Weggefährte.«
    »Da stimme ich dir zu«, sagte Benita Ormson. »Das Herz findet Wege, die die Vernunft nicht kennt.«
    »Das habe ich auch schon gehört«, sagte Ebba. »Aber ich glaube, mein Problem ist, dass ich nicht den geringsten Grund sehe, warum ich weiterleben sollte.«
    »Warum tust du es dann?«
    »Weiterleben?«
    »Ja.«
    »Ich weiß es nicht so genau. Vielleicht sehe ich es als eine Art Pflicht an. Dass man bis zum Ende leben muss, wenn man schon mal ein Leben zugeteilt bekommen hat.«
    Benita Ormson nickte. »Und diese Einsichten sind dir gekommen, nachdem dein Sohn verschwunden ist?«
    »Ja. Mir ist schon klar, dass das Einsichten sind, die eigentlich allen kommen müssten … in größerem oder kleinerem Grad … und dass die meisten sie verarbeiten können und dann weitermachen. Aber was mich betrifft, so geht das einfach nicht. Der Fall war … ja, ich glaube, es war einfach zu brutal.«
    »Du gehst davon aus, dass Henrik tot ist?«
    »Ja, ich denke, das tue ich.«
    »Und warum hat ausgerechnet Henrik alles für dich bedeutet?«
    »Das ist auch so eine Sache, über die ich nicht bestimmen kann. Darf ich eine Marianne nehmen?«
    »Ja, bitte schön.«
    »Stell dir vor, ich habe keine Marianne mehr gegessen, seit wir für die Prüfungen gelernt haben.«
    »Ich auch nicht. Aber warum gerade Henrik? Wenn man sich Kinder anschafft, gehört zu den Bedingungen, dass sie vor uns sterben können. Es gibt keine Garantien, das weißt du genauso gut wie

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