Mensch ohne Hund: Roman (German Edition)
das war das Entscheidende. Warum war sie so nervös gewesen? Warum hatte sie ihm nicht helfen wollen, wenn es stimmte, dass es eine neue Spur in den Ermittlungen um das Verschwinden ihres Neffen gab? Wäre es nicht natürlich gewesen, dass auch sie den Mörder fassen wollte – falls der Junge wirklich ermordet worden war? Warum bremste sie? Warum?
Aber hier musste er innehalten und sich selbst ein wenig hinterfragen. Vielleicht hatte es an ihm gelegen, dass es so gelaufen war. Er hatte fast als Erstes den Familienaspekt angeführt, und ein Angriff, gerichtet auf die Familie Hermansson Grundt, wurde vielleicht automatisch zu einem Angriff, der direkt auf sie gerichtet war. Auf Kristina. Und auf ihren Mann. Vielleicht war es nur die natürlichste Sache der Welt gewesen, dass sie auf Abwehr schaltete?
Denn was hatte er eigentlich behauptet? Was waren das für angebliche Fakten, die sie hinter seinen Rauchschleiern zu vermuten hatte?
Dass ihr Ehemann, Jakob Willnius, auf irgendeine Art und Weise mit dem Verschwinden etwas zu tun hatte? Hatte er nicht genau das behauptet? Gab es überhaupt Raum für andere Interpretationen?
Und war das nicht auch genau das, was er in seinem tiefsten Inneren glaubte – wobei er alles tat, um so zu erscheinen, als glaubte er es nicht?
Verdammte Scheiße, dachte Gunnar Barbarotti und stand vom Bett auf. Wenn ich selbst nicht einmal beurteilen kann, welches Motiv und welche Beweggründe ich habe, wie soll ich dann entscheiden können, was jemand anderes denkt und meint? Und was zum Teufel sollte Jakob Willnius für einen Grund gehabt haben, sich des Jungen zu entledigen? Er kannte ihn ja kaum.
Zweifellos war das der springende Punkt. Barbarotti warf sich den Mantel über und verließ das Zimmer. Es war kurz nach sieben Uhr, ein Spaziergang zwischen den Schneewällen und ein Essen in einem nicht zu überfüllten Restaurant konnten vielleicht etwas die Schlacke aus dem Schädel schaufeln. Auf jeden Fall musste er versuchen, das Bild des Staatsanwalts von Klampenberg loszuwerden, der ihn auslachte, wenn er ankam und ihm die Fakten in dem Fall präsentierte.
»Und was hast du gegen diesen Willnius anzuführen?«
»Seine ehemalige Ehefrau behauptet, er sei unglaublich unsympathisch, verehrter Herr Staatsanwalt.«
Nein, dachte Gunnar Barbarotti und schob die Hände in die Manteltaschen, als er auf die Straße trat. Das läuft so nicht.
Er merkte, dass er überhaupt nicht hungrig war, und entschied sich zunächst einmal für eine halbe Stunde Spaziergang. Mindestens. Nahm den Weg an Åhléns und Sergels torg vorbei und dann weiter Richtung Norden. Als er den Sveavägen am Konzerthaus überquerte, fiel sein Blick auf ein Filmplakat. The Usual Suspects. Das Kino hieß Rigoletto.
Er schaute auf die Uhr. Halb acht. Schade, dachte er, der läuft schon eine Viertelstunde. Hätte ich mir gern noch einmal angesehen.
Er zuckte mit den Schultern und ging weiter die Kungsgatan zum Stureplan hinunter. Merkte, wie er langsam fror, und musste feststellen, dass er Handschuhe und Schal im Hotel vergessen hatte.
Und die Irritation nagte an ihm.
»Du bist spät«, sagte sie. »Ich dachte …«
»Natürlich bin ich spät«, unterbrach Jakob Willnius sie und hängte seinen Mantel auf. »Zimmerman hat die gesamte Übersetzung abgelehnt. Ich begreife nicht, wofür wir diese verfluchten Manuskriptwäscher bezahlen. Und es war ja nun ziemlich wichtig, dass es heute geklärt wurde, nicht wahr?«
»Wie meinst du das?«
»Hast du vergessen, dass wir am Sonntag nach Thailand fliegen? Du glaubst doch wohl nicht, dass ich diese Sache in die Hände von Törnlund oder Wassing legen will?«
»Nein, das kann ich verstehen. Willst du gleich was essen?«
»Nein, vorher brauche ich einen riesigen Laphroaigh. Und ich würde vorschlagen, dass du dir auch einen genehmigst.«
»Jakob, ich bin im siebten Monat.«
»Das weiß ich. Ich dachte nur, du könntest einen für die Nerven gebrauchen.«
»Was meinst du damit? Wieso für die Nerven?«
Er ging zum Barschrank und holte eine Flasche heraus. »Ja, ja, du hast schon richtig gehört. Für die Nerven. Damit …«
»Ja?«
»Damit du deine Zunge im Zaume hältst.«
»Jetzt verstehe ich gar nichts.«
»Nein? O doch, ich denke schon, dass du verstehst. Es ist nämlich so, dass ich heute Nachmittag am Royal Viking vorbeigekommen bin. Zimmerman wohnt nämlich immer dort, wenn er in der Stadt ist, und er musste etwas aus seinem Zimmer holen. Das war ungefähr
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