Mensch ohne Hund: Roman (German Edition)
Viertel nach drei, und da hast du da drinnen gesessen und mit deiner Freundin geredet … wie hieß sie noch?«
»Henriette.«
Plötzlich war sie sich nicht mehr sicher, ob das der richtige Name war. Hatte sie Henriette gesagt oder Josefin? Beide existierten in ihrer Phantasiewelt, sie war so schlecht im Lügen, dass sie sogar in einer Situation wie dieser alte Freundinnen zu Hilfe nehmen musste.
»Henriette, ja. Das Lustige ist … ja, kannst du nicht raten, was so lustig ist?«
»Nein, ich verstehe nicht … Wovon redest du, Jakob?«
Er schenkte sich vier Zentimeter ein, bevor er antwortete. Drückte umständlich den Korken in die Flasche und nahm einen Schluck. »Das Lustige ist«, sagte er dann, »dass ich, während ich im Auto saß und auf Zimmerman wartete, sah, wie ein Bekannter aus dem Hotel herauskam. Ich nehme an, dass du nicht errätst, wer es war.«
Sie schüttelte den Kopf. Presste die Fingernägel in die Handfläche und wünschte, man könnte sich so selbst töten. Oder sich unsichtbar machen.
»Dieser verfluchte Polizeibeamte. Der neulich angerufen hat. Bist du dir sicher, dass du nicht doch einen kleinen Whisky möchtest? Ich denke, wir haben heute Abend noch so einiges zu bereden.«
41
D ie Zeit verging so langsam.
Als Kristoffer über die grüne Linie der T-centralen trat, fiel ihm der merkwürdige Wunsch ein, den er vor fast einem Jahr gehabt hatte. Als seine ganze Familie im Auto auf dem Weg nach Kymlinge saß und noch nichts passiert war.
Ein Stück seines Lebens überspringen zu können.
Wenn er sich recht erinnerte, hatte er damals drei oder vier Tage streichen wollen. Nur um schneller nach Hause, nach Sundsvall und zu Linda Granberg zu kommen. Linda Granberg, die ihn später zuerst mit einem der Brüder Niskanen aus Liden betrogen hatte und dann nach Drammen gezogen war.
Wie lächerlich unreif er doch damals gewesen war. Dabei war es noch nicht einmal ein Jahr her. Aber inzwischen ist ja so einiges passiert, dachte Kristoffer Grundt. Das lässt sich nicht leugnen.
Aber gerade jetzt, an diesem dunklen, schicksalhaften Dezemberabend, genau in der Sekunde, als der Zug anruckte und sich wieder in Bewegung setzte, tauchte also wieder der gleiche Wunsch in seinem Kopf auf. Die Zeit überspringen zu können. Aber heute Abend wünschte er nicht so viel. Keine vier Tage, es würde reichen mit … ja, eigentlich mit zwei Stunden.
Dass er die Dunkelheit und Kälte umgehen konnte.
Und das Warten. Er würde sicher irgendwann zwischen halb zehn und zehn Uhr am Skogskyrkogården ankommen. Das war viel zu früh. Wenn es doch möglich wäre, ein bisschen an den Stunden herumzumanipulieren, so dass es jetzt Viertel vor zwölf wäre. Das würde reichen, dachte Kristoffer. Jetzt konnte er sich noch nicht direkt zum Musseronvägen aufmachen. Nicht vor Mitternacht. Nicht einmal zum Observieren, es war zu riskant. Jemand konnte ihn sehen und sich sein Aussehen merken. Der Einbruch selbst durfte nicht vor ein Uhr stattfinden, das hatte er so beschlossen. Oder vielleicht sogar noch später, wenn sich herausstellte, dass Jakob und Kristina so lange aufblieben. Mindestens eine Stunde, nachdem das Licht gelöscht worden war, so hatte er es beschlossen. Es ging darum, sich an den Plan zu halten. Wenn man das tat, musste man im Fall der Fälle keine übereilten, falschen Entscheidungen treffen.
Aber jetzt waren also noch mindestens zwei Stunden totzuschlagen, bevor es soweit war. Es erschien wie eine Ewigkeit. Natürlich könnte er die ganze Zeit in der U-Bahn verbringen, zwischen den verschiedenen Haltestellen hin und her fahren, ein paar Mal aus-und wieder einsteigen, aber er mochte die U-Bahn nicht. Fühlte sich dort nicht zu Hause. Es herrschte da unten ein Gefühl von Angst und Feindseligkeit, das er nicht mochte.
Etwas, das in der Luft lag und jeden Moment zu explodieren drohte, wie ihm schien. Ein Trupp laut grölender Jugendlicher randalierte etwas weiter in seinem Waggon, der Typ, der sich neben ihm niedergelassen hatte, war offensichtlich high, ein schielendes Riesenbaby, das auf seiner Unterlippe kaute und sich die Handrücken kratzte. Wog sicher hundertfünfzig Kilo, und wenn ein falsches Bild in seinem kurzgeschorenen Kopf auftauchte, könnte er wohl auf die Idee kommen, Kristoffer eins zu verpassen. Nur weil er dasaß und so unverschämt guckte oder so. Oder weil zu erkennen war, dass er aus Norrland kam.
Aber dann erschieße ich den Idioten, dachte Kristoffer, und ein verzweifeltes Lachen
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