Mensch ohne Hund: Roman (German Edition)
gewesen, irgendetwas musste wirklich aus dem Gleis geraten sein, aber warum jetzt noch in alten Wunden wühlen?
Das Haus in Gamla Enskede war sauteuer. Aber Jakob Willnius hatte schließlich Geld, einen Posten und die Verantwortung fürs TV-Programm; er war eine Art Goldjunge im unpersönlichen, totaldigitalen Fernsehsender dieser Zeit und hatte zwei berüchtigte weibliche Chefs auf eine Art und Weise überlebt, die Narben hinterließ. (Ja, er ist schon etwas Besonderes, da bin ich ganz deiner Meinung, hatte Karen zugegeben, aber ob das auf lange Sicht reicht, das muss sich noch herausstellen.) Er hat eine zwölf Jahre jüngere Ehefrau bekommen, dachte Kristina in ihren sarkastischen Momenten. Ich bin das Glückslos in seinem Leben, und er wird mich niemals freiwillig verlassen, solange ich bereit bin, zweimal die Woche mit ihm zu vögeln. Wenn ich eines schönen Tages Hungers sterbe, dann ist es mein eigener Fehler.
Aber die unerbittlich an ihr nagende alltägliche Unzufriedenheit hatte in den letzten Monaten zugenommen, das war nicht zu leugnen. Das Bedürfnis nach … ja, wonach eigentlich?, dachte sie und verließ das Badezimmer. Ihn zu bestrafen? Auch wieder lächerlich, was um alles in der Welt hätte sie damit gewonnen, wenn sie Jakob bestrafte? Was war das für ein albernes Wort, das sich da in ihre Gedanken geschlichen hatte?
Aber Gedanken und Gefühle weigerten sich, sich zu vertragen. Sie gingen einander an die Kehle, so sah der Stand der Dinge aus. Das Problem. Genauso war es.
Ich bin primitiv, dachte sie, als sie wieder in sicherem Abstand zu ihm ins Doppelbett kroch. Aber es ist ja nur gut, wenn ich meine Beweggründe kenne. Und das Leben ist faktisch nicht mehr als das. Bonjour tristesse.
Was zum Teufel soll ich nur tun?, fragte sie sich anschließend. Oder besser gesagt: Was sollte ich tun?
Was ist nur mit meinem Leben los, dass es mir plötzlich mehr oder minder unerträglich erscheint?
Doch bevor es ihr gelang, diese hartnäckigen Fragezeichen zu beantworten, hatte der Schlaf endlich wieder Besitz von ihr ergriffen. Höchste Zeit, es waren vermutlich kaum mehr drei Stunden, bis Kelvin wieder Anspruch auf sie erheben würde. Auf seine leise Art.
Als der Skandal noch ganz druckfrisch war, hatte ihre Mutter sie angerufen und gefragt, ob Jakob möglicherweise seine Finger im Spiel gehabt haben könnte, als Walter für diese Sendung da ausgesucht worden war.
Kristina hatte diesen Gedanken als absurd abgetan, konnte aber nicht an sich halten, ihn noch am gleichen Abend danach zu fragen.
Da hatte er ungewöhnlicherweise Zeichen gezeigt, die als Ärger gedeutet werden konnten. »Kristina, was ist das für eine Unterstellung? Verdammt, du weißt es doch besser. Und du weißt, was ich von Lindmanner und Krantze halte.«
»Tut mir leid, aber es war meine Mutter, die gefragt hat. Die scheinen daheim ziemlich aufgewühlt zu sein.«
»Das kann ich mir vorstellen«, hatte Jakob erklärt. »Ehrlich gesagt finde ich es gut, dass es passiert ist. Jetzt werden sie Probleme damit haben, solche Einlagen in Zukunft genehmigt zu kriegen.«
»Dann meinst du, Walters Auftritt könnte auf lange Sicht auch etwas Gutes an sich haben?«
»Warum nicht? Wenn die Leute mehr in dieser Art sehen wollen, müssen sie nur ein paar Stufen tiefer auf der Skala klettern und sich einen Pornokanal angucken. Oder etwa nicht?«
Womit er natürlich recht hatte. Aber die Skala selbst ärgerte sie. Grob gesehen konnte man – von den Pornofilmen einmal abgesehen – von drei Qualitätsniveaus in der Produktionsindustrie für Fernsehunterhaltung sprechen. Ganz unten gab es die Dokusoaps mit »Fucking Island« als eine Art All Time Low. In der Mitte gab es Serien und Quizsendungen. Talkshows, Diskussionen und die angeblichen Gesellschaftsanalysen. Und ganz oben thronte das Fernsehspiel – das es als solches natürlich nicht mehr gab oder das zumindest schon vor vielen Jahren einen anderen Namen bekommen hatte und das ehrlich gesagt immer noch auf Gesetzen aus den Siebziger-und Achtzigerjahren beruhte – hier hatte Jakob sein Reich, er trug die edelste aller Verantwortungen. Hier wurde die Zuschauerzahl nicht so ernst genommen. Dafür Qualität und internationale Preise.
Wie auch immer, auch wenn die Hitliste von Zeit zu Zeit diskutiert und modifiziert wurde, so herrschte doch kein Zweifel daran, dass Walter Hermansson, ihr Bruder, sich auf dem Grund des Bodensatzes befand. Hoffentlich nur ein kurzfristiger Ruhm, aber zwei
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