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Mensch ohne Hund: Roman (German Edition)

Mensch ohne Hund: Roman (German Edition)

Titel: Mensch ohne Hund: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Håkan Nesser
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worauf ihr euch da einlasst«, sagte Ebba.
    »Bist du schon einmal in Granada gewesen, mein Mädchen?«, fragte Karl-Erik mit einem leicht zurechtweisenden Ton in der Stimme. »Hast du schon mal auf der neuen Brücke von Ronda gestanden und in die Schlucht hinuntergeschaut? Hast du …«
    »Papa, ich behaupte ja nicht, dass es ein Fehler ist, dorthin zu ziehen, ich hoffe nur, ihr habt keinen übereilten Entschluss gefasst.«
    Karl-Erik sammelte die Fotos zusammen und schob sie in den Umschlag, in dem er sie aufbewahrte. »Ebba, wir wollen das jetzt hier nicht diskutieren«, sagte er verkniffen. »Ich brauche dich wohl nicht daran zu erinnern, was im Herbst passiert ist. Es gibt Momente im Leben, da muss man einen Entschluss fassen.«
    »Man wird doch wohl noch fragen dürfen?«, bemerkte Ebba.
    »Möchte noch jemand ein Stückchen Brot, bevor wir ins Bett gehen?«, fragte Rosemarie, die gerade aus der Küche kam. »Oder etwas Obst?«
    »Bist du wahnsinnig geworden, Mama?«, erwiderte Ebba. »Wir haben doch gerade fünf Stunden am Stück gegessen.«
    »Ich …«
    Doch die Stimme brach wieder ab, sie holte tief Luft und machte einen neuen Versuch.
    »Ich habe überlegt, ob wir nicht … ob wir nicht die Polizei anrufen sollten.«
     
    »Das kommt überhaupt nicht in Frage«, erklärte Karl-Erik seiner Ehefrau, als sie eine Viertelstunde später allein im Schlafzimmer waren. »Du kannst alles Mögliche tun, aber nicht die Polizei benachrichtigen. Das verbiete ich dir.«
    »Das verbietest du mir?«
    »Ja, das verbiete ich dir.«
    Sein Gesicht hatte eine Farbe angenommen, an die sich Rosemarie nicht erinnern konnte, sie jemals gesehen zu haben. Doch, bei Pflaumen und anderen überreifen Früchten, aber nie bei ihrem Ehemann.
    »Mein lieber Karl-Erik«, versuchte sie es. »Ich dachte ja nur …«
    »Du hast überhaupt nicht gedacht«, unterbrach er sie wütend. »Begreifst du nicht, was dabei herauskommen würde? Als wäre es nicht damit genug, was er bereits alles angestellt hat! Dass er die Stirn hat, herzukommen und neben allem anderen auch noch zu verschwinden, pfui Teufel, ich mag gar nicht daran denken … Wichs-Walter löst sich in Kymlinge in Luft auf! Kannst du die Schlagzeilen sehen, Rosemarie? Es ist dein Sohn, von dem wir hier reden!«
    Rosemarie schluckte und ließ sich auf die Bettkante sinken. Sie hatte ihn noch nie zuvor so wütend gesehen. Die ganzen fünfundvierzig Jahre nicht. Wenn ich ihm jetzt widerspreche, dann kriegt er einen Herzinfarkt und stirbt, dachte sie.
    »Sag nicht dieses Wort, ich bitte dich«, sagte sie nachgiebig, und er ging brummend und leise vor sich hinfluchend ins Badezimmer.
    In gewisser Weise hatte er ja recht, das musste sie zugeben. Sie traute sich gar nicht, daran zu denken, was die Zeitungen schreiben und die Leute reden würden, wenn herauskäme, dass Walter tatsächlich verschwunden war. Hier in Kymlinge. In Zusammenhang mit einer Geburtstagsfeier daheim bei seinen Eltern!
    Und wenn sie die Polizei anrief, konnte man wohl sicher sein, dass es herauskam. Die Hälfte von dem, was in den Zeitungen stand, und die Hälfte der Nachrichten in Rundfunk und Fernsehen handelte von Dingen, mit denen die Polizei zu tun hatte. Auf welche Art und Weise auch immer.
    Gütiger Himmel, was soll ich nur tun?, dachte Rosemarie Wunderlich Hermansson und faltete die Hände im Schoß – doch die einzige Antwort, die sie erhielt, war ein Bild, das auf ihre innere Netzhaut projiziert wurde: Es stellte Walter dar, verlassen und in einer Schneewehe erfroren. Gütiger Himmel, hilf mir, versuchte sie es noch einmal, ich kann bald nicht mehr.
    Und sie erinnerte sich an diesen Traum, den sie gehabt hatte. Von den Vögeln mit diesen merkwürdigen Sprechblasen im Schnabel. Dass es um Karl-Eriks oder ihr Leben ging. Lass ihn leben, dachte sie jetzt. Nimm lieber mich dafür. Wenn ich morgen früh nicht aufwachen muss, werde ich nichts als eine große Dankbarkeit empfinden.
     
    »Du willst nicht mitfahren?«, fragte Jakob Willnius, als sie vor dem schwach rot erleuchteten Eingang des Kymlinge Hotels standen.
    »Ich denke nicht«, sagte Kristina.
    »Es dauert sicher nur eine Viertelstunde, eben hochzuspringen und alles zusammenzupacken, weißt du«, meinte er.
    Kristina nickte unentschlossen. Seine eigene Reisetasche lag bereits im Kofferraum, dieses Detail hatte er schon erledigt, als sie morgens losgefahren waren. Mit typischer Jakob-Willnius-Effektivität. Er dachte immer an alles; winzig kleine Details,

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