Mensch ohne Hund: Roman (German Edition)
servieren.
Reden wurden gehalten.
Zu den Blinis und dem Riesling hieß der älteste Jubilar die ganze Fußballmannschaft willkommen (wobei er offensichtlich sich selbst, den abwesenden Walter wie auch Ester Brälldin in der Küche dazurechnete, sonst wären es kaum elf geworden). Das sei ein großer Tag, wie er erklärte. Für ihn selbst und für Ebba. Vierzig zu werden, das bedeute, dass man sich immer noch auf dem Sprung befinde, man hatte noch zehn Jahre bis zum Zenit des Lebens, bis zur Fünfzig. Fünfundsechzig zu werden, das bedeutete nicht nur, dass man gelandet war, man war auch im Ziel angekommen. Bildlich gesprochen natürlich nur, und wenn man denn bei der vorher gewählten Sportmetaphorik bleiben wollte.
Die letzten Sätze waren etwas verschachtelt, und Karl-Erik stockte ein wenig, was bei seiner Frau noch einmal die Frage aufkommen ließ, wie es eigentlich um ihn stand. Irgendwie war sie nicht so recht wiederzuerkennen, die zähe Pädagogenfichte, oder?
Auf jeden Fall ließ er sich in einem zwanzig Minuten langen Referat über die schwedische Grundschule seit 1968 aus, dem Jahr, in dem er begonnen hatte, brachte anschließend einen Toast auf »die gute Bildung, groß geschrieben«, aus, »die sich selbst genügt und sich nicht an irgendwelche gierigen Marktführer und zufälligen Modelle verkauft« (das muss doch wohl Moden heißen?, dachte Rosemarie) und hieß schließlich noch einmal alle herzlich willkommen.
Anschließend gab es Rentierrücken mit jungem Gemüse, eingelegten Zwiebeln, schwarzem Johannisbeergelee und Pommes duchesses, und vor dem zweiten Gang war Leif Grundt an der Reihe. Sein Beitrag zerfiel in drei Teile. Zunächst erzählte er die nur schwer verständliche Geschichte einer großbusigen Metzgerin im Konsumsupermarkt in Gällivare, anschließend lobte er seine Ehegattin für ihre Tugenden zwanzig Sekunden lang, und schließlich erklärte er, dass er persönlich seinen Schwiegervater nie älter als vierundsechzigeinhalb schätzen würde.
Beim Käse begann Rosemarie plötzlich zu weinen. Sie war gezwungen, den Tisch zu verlassen, und als sie zurückkam, erklärte sie, dass ihr Gefühlsausbruch auf der starken Gefühlserregung beruhe, die sie plötzlich überfallen habe. Jetzt, wo (fast) alle hier versammelt seien und so.
Zu aller Überraschung (Ebba vielleicht ausgenommen) stand Henrik in diesem Moment auf und sang ein Lied a cappella – höchstwahrscheinlich eine Art italienischer Serenade – ein Beitrag, der mit stürmischem Applaus aufgenommen wurde und deutlich die Stimmung hob.
Anschließend gab es Toscabirnen in Cognacsahne und eine elaborierte, aber eine Spur unpersönliche (was daran liegen mochte, dass er sie schon ungefähr zwanzig Mal zuvor in den unterschiedlichsten Zusammenhängen gehalten hatte, wie seine Frau registrierte) Dankesrede fürs Essen von Jakob. Zu diesem Zeitpunkt wurde auch Ester Brälldin aus der Küche geholt und mit einem Glas des gelobten Málagaweins bewirtet.
Schließlich war es Zeit für Kaffee, Torte und Geschenke. Was Ebba betraf, so lag dabei der Schwerpunkt auf einer ganzen Serie neuen Porzellans einer bekannten englischen Marke für den Hausgebrauch; Teller, flach und tief, Dessertteller, Kaffee-und Teetassen, Platten und Schüsseln und Suppenterrine – aber auch die sogenannten Erlebnisgeschenke: Hasseluddens Yasuragi inklusive Essen und dreißig Minuten Steinmassage sowie Selma-Lagerlöf-Spa in Sunne mit Body-Splash (wo sie bereits zweimal gewesen war, aber wer konnte das wissen?).
Was Karl-Erik betraf, ging es etwas gemischter zu: diverse Bücher verschiedener Genres, ein Morgenmantel, ein Stock mit Silberknauf, fünf Seidenschlipse (nach allem zu urteilen von Walter auf dem Flugplatz von Bangkok eingekauft), eine Digitalkamera sowie eine alte Lithographie, die Herbstschlacht bei Baldkirchenerheim 1622 darstellend.
Erst nachdem auch dieser Punkt der Tagesordnung abgehakt war, kam die Frage auf, wohin Walter wohl verschwunden sein konnte. Es ging auf elf zu, und die 105-Jahresfeier konnte in gewisser Weise als abgeschlossen betrachtet werden. Es sei an der Zeit, ein wenig die Garderobe zu lüften, wie Leif Grundt die Lage etwas ungeschickt ausdrückte und wofür er von seiner gerade vierzig Jahre alt gewordenen Ehefrau leicht zurechtgewiesen wurde.
»Er wollte spazieren gehen und eine rauchen«, erklärte Kristina. »Ich hab nicht auf die Uhr geschaut, aber es muss ungefähr halb eins gewesen sein.«
»Wie wirkte er?«,
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