Menschen und Maechte
ausgehen, daß sie im wesentlichen die gleichen Auffassungen vertraten, welche man früher von ihnen gehört hatte. Amerika war beständig. Kein genereller Kurswechsel um 90 oder gar um 180 Grad war zu befürchten, wenn eine neue Administration ins Amt kam.
Diese Stetigkeit und Berechenbarkeit der internationalen Politik der USA nahm während des Vietnamkrieges deutlich ab. Der Krieg und die Fragen nach dem Sinn der Opfer, welche er forderte, sowie nach der Aussicht auf politischen Erfolg polarisierten die amerikanische politische Klasse. Bei vielen ging ein Teil der Gelassenheit (und auch der guten Klubmanieren) verloren; andere
gerieten in tiefe Zweifel über die internationale Rolle ihres Vaterlandes, wozu die Opposition der eigenen Töchter und Söhne beitrug. Die charakteristische, die Außen- und Sicherheitspolitik der USA kennzeichnende Bedeutung des alten Ostküstenestablishments hat im Laufe der sechziger Jahre ihren Zenit überschritten.
Die Carter-Administration, noch mehr die Reagan-Administration, ersetzte die bis dahin dominierenden außenpolitischen Einflüsse der Ostküste, die vornehmlich über den Atlantik nach Europa blickte, durch Einflüsse des Südens und der Westküste des riesigen Landes; von dort blickt man eher nach Mexiko, auf die Karibik und nach Westen über den Pazifik. Zugleich verlagerte sich im Laufe der siebziger Jahre das Schwergewicht der wirtschaftlichen Dynamik, des volkswirtschaftlichen Wachstums, aber auch des Wachstums der Bevölkerung spürbar nach Florida, Texas, Kalifornien und in andere Staaten, weg von der Ostküste und vom Mittleren Westen, in dem über lange Generationen das industrielle Wachstum der USA zu Hause gewesen war. Die neu aufblühenden Regionen waren von größerer Vitalität, aber auch von größerer außenpolitischer Naivität; ein gewisses Maß an Mißachtung sowohl Washingtons als auch des alten Establishments war nicht zu übersehen.
Neue Schlagworte und neue Leitvorstellungen tauchten auf. Während Jimmy Carter von der Vorstellung eines globalen wirtschaftlichen Dreiecks USA-Europa-Japan beeinflußt war, die von der sogenannten Trilateral Commission unter David Rockefeller ausging, trat Ende der siebziger Jahre das neue Schlagwort vom Pazifischen Becken hinzu. In den Augen vieler Kalifornier hat das wirtschaftliche Wachstum der Welt in dieser Region sein neues dynamisches Zentrum gefunden. Damit sich die Hoffnung, die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit Japans, Koreas, Taiwans, Hongkongs und Singapurs unter amerikanischer technologischer und möglichst auch unternehmerischer Führung auszubauen und zur neuen Grundlage, mindestens aber zu einem zusätzlichen Eckstein globaler Außenpolitik und Strategie machen zu können. Demgegenüber tritt in dieser Vorstellungswelt die Rolle Europas in den Hintergrund.
Sicherlich sind bei diesen Vorstellungen auch Illusionen über die Völker Asiens und deren Interessen im Spiel. Im Durchschnitt sind die Kenntnisse der Amerikaner über die Japaner, über japanische Geschichte, Kultur und Mentalität deutlich noch geringer als ihre Kenntnisse über Europa. Dies gilt in noch höherem Maße für China und seine fünftausendjährige Geschichte und Kultur; aber es gilt zum Beispiel auch für den islamischen Großstaat Indonesien mit seinen über 160 Millionen Menschen und seinen mehr als 13 000 Inseln.
Amerika weiß nur wenig von den innerasiatischen Konflikten, zum Beispiel von den Ressentiments der Chinesen, Koreaner und Filipinos gegen die Japaner als Folge des japanischen Imperialismus von 1930 bis 1945 oder zum Beispiel von den unterschwelligen Ängsten vor einer möglichen neuen Einflußnahme des chinesischen Kommunismus. Es hat geringe Vorstellungen von dem Neid der südostasiatischen Massen auf den wirtschaftlichen Erfolg und den Wohlstand der sechzehn Millionen Auslandschinesen, die in Malaysia, Thailand, Indonesien und auf den Philippinen wohnen.
Während das alte Ostküstenestablishment nicht nur mit England eine gemeinsame Sprache hatte, sondern darüber hinaus auch erhebliche französische, selbst deutsche und italienische Sprachkenntnisse besaß, spricht kaum ein einziger amerikanischer Politiker Chinesisch oder Japanisch oder Indonesisch. Das Verständnis für die asiatischen Völker ist unterentwickelt. Amerika wird erfahren müssen, daß angesichts der großen Verschiedenheiten der kulturellen Traditionen und der sozialen Strukturen die Lenkbarkeit der Staaten Südost- und Ostasiens im Sinne
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