Menschen und Maechte
es als private Ratgeber, sei es als Mitglieder von Kommissionen, wie die amerikanischen Regierungen sie von Zeit zu Zeit bilden. John McCloy war nach dem Zweiten Weltkrieg für lange Zeit Chairman dieses Kreises und gewissermaßen sein Prototyp; später spielten David Rockefeller und Cyrus Vance im Council eine bedeutende Rolle.
Dieses Establishment hat eine große Zahl ausgezeichneter Leute hervorgebracht, die ihrem Lande – aber auch der Welt – zum Teil unschätzbare Dienste geleistet haben. Sie waren in der Mehrheit Republikaner, aber es gab auch viele Demokraten darunter; entscheidend war: es mußten »linke« Republikaner oder »rechte« Demokraten sein, auf jeden Fall aber international verantwortlich
denkende Männer der Mitte. Eben deshalb wahrten sie über dem Wechsel der Präsidenten die Kontinuität der internationalen Politik der USA – jedenfalls bis zur inneren Entzweiung im Laufe des Vietnamkrieges.
Wenn man als deutscher Politiker nach New York kam und in den Council eingeladen wurde, empfand man dies nicht nur als eine Ehre, sondern man konnte sich hier auch ohne große Mühe ziemlich rasch orientieren, wie die amerikanische Regierung über die Lage im Nahen Osten dachte, über ihre Beziehungen zur Sowjetunion oder über Berlin, was ihre Absichten waren oder was wahrscheinlich demnächst ihre Absichten sein würden.
Natürlich konnte man innerhalb dieses Establishments auch verschiedene Strömungen verspüren, selbst Kontroversen. Aber man hatte es mit Leuten zu tun, welche die Länder oder die Probleme, über die sie sprachen, wirklich kannten; sie hatten ausreichend Geld, Zeit und Gelegenheit zum Reisen gehabt; sie sprachen oder verstanden mindestens eine Fremdsprache. Sie waren weltläufig, und es war ein Gewinn, sich mit ihnen zu unterhalten. Robert Roosa, George Ball, später Peter Petersen oder Felix Rohatyn waren einige der Gesprächspartner aus dem Council, die ich in guter Erinnerung habe.
Die außenpolitische Elite, die sich auf ziemlich geräuschlose, aber wirksame Weise selbst ergänzte, war also weitgehend eine Sache der Ostküste. Natürlich gehörten einige Spitzenleute aus Harvard und dem M.I.T. in Cambridge (Massachusetts) dazu, ebenso aus den Ivy-League-Universitäten Yale, Princeton und Columbia. Ich erinnere mich aus den sechziger Jahren gern an die Professoren Robert Bowie, William Kaufman, Klaus Knorr, Marshall Shulman, Henry Kissinger, Zbigniew Brzezinski und viele andere. Zu diesem klubartigen, durchaus losen Geflecht von Personen mit hoher Kompetenz und unprätentiösem Auftreten gehörten auch, freilich ohne direkte gesellschaftliche Bindung, einige herausragende Gewerkschaftsführer, etwa die aufeinander folgenden Vorsitzenden der Dachorganisation AFLCIO (American Federation of Labor – Congress of Industrial Organizations) George Meany und Lane Kirkland.
Wer als Europäer in den fünfziger oder sechziger Jahren über das aktuelle außenpolitische Denken der USA Auskunft brauchte, dem genügten wenige Tage und ein paar Gespräche mit Angehörigen dieses Kreises. Man brauchte dazu nicht jedes Jahr nach Amerika zu reisen, sofern man zwischendurch an einigen der privaten internationalen Konferenzen teilnahm; mit Dankbarkeit erinnere ich mich an die alljährlichen sogenannten Bilderberg-Konferenzen, die Bernhard, Prinz der Niederlande, organisierte und leitete, oder an die alljährlichen Tagungen des Londoner Institute for Strategic Studies unter Alistair Buchan. An solchen internationalen Konferenzen, zwei oder drei Tage dauernd, waren auch immer einige der außenpolitisch tätigen Senatoren beteiligt, Jacob Javits oder Charles Mathias, Henry (»Scoop«) Jackson oder Charles (»Chuck«) Percy. Unterhaltungen mit Dean Acheson, George Kennan oder Paul Nitze, die sich bei solchen Gelegenheiten ergaben, waren Fundgruben der Information und der Erkenntnis.
Wenn man außerdem noch ein Gespräch mit dem Gouverneur von New York, Nelson Rockefeller, hatte oder mit einem der innenpolitisch führenden Senatoren in Washington, so konnte man seine Eindrücke vom außenpolitischen Umriß der USA ohne große Anstrengungen auch in deren innenpolitisches Spannungsfeld einordnen. Auf diese Weise war Amerika für die europäischen Politiker ziemlich transparent. Man war nicht überrascht, wenn einige der Gesprächspartner ein paar Jahre später als Minister oder stellvertretender Minister oder als Ministerialdirektor in Washington in Erscheinung traten; man durfte dann davon
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