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Menschen und Maechte

Menschen und Maechte

Titel: Menschen und Maechte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Schmidt
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Lageüberblick zu geben. Ich machte eine Tour d’horizon, die vom Nahostkonflikt über die Besetzung Afghanistans und die Lage im Iran bis zur Krise der Ost-West-Beziehungen reichte. Natürlich sprach ich auch über unsere eigenen Absichten in Moskau. Ich fand rundum Zustimmung; auch Jimmy Carter, den ich geschont hatte, konnte sich nicht ausschließen.
    Am nächsten Tag unterzog sich Brzezinski der gewiß nicht angenehmen Aufgabe, in Hintergrundgesprächen mit der Presse für ein normales Klima zu sorgen. Die »Frankfurter Allgemeine«, die normalerweise der CDU/CSU zuneigt, hatte er ausdrücklich hinzugebeten; sie hat dann am 25. Juni sechsspaltig darüber berichtet. Brzezinski stellte die politische Erklärung der sieben Regierungschefs zu Afghanistan so dar, als fasse sie alles zusammen, was Carter seit dem Januar gesagt hatte (was nicht stimmte, zum Beispiel kam das Wort »Bestrafung« nicht vor). Auf die Frage, ob man sich
die Dissonanzen der letzten Wochen nicht dadurch hätte ersparen können, daß man schon früher eine Abstimmung auf oberster Ebene vorgenommen hätte, gab er eine offenherzige Antwort, die seine eigene Regierung ziemlich bloßstellte: Das sei schon deswegen nicht möglich gewesen, weil man sich an der Spitze der Administration nicht einig gewesen sei; erst jetzt sei der Konsens zwischen Präsident, Außenminister und Sicherheitsberater hergestellt worden. Zu den Meinungsverschiedenheiten mit mir befragt, antwortete Brzezinski, der Brief des Präsidenten habe »auf falschen Presseberichten« beruht. Aber das sei ja jetzt alles erledigt: »Mit Bundeskanzler Schmidt ist alles klar.« Dieser Satz lieferte denn auch die Überschrift in der FAZ.
    Sonst war das Presseecho in der Welt durchaus gemischt. »La Repubblica« schrieb: »Carter überzeugt Europa nicht«; der »Corriere della Sera« fügte hinzu, Carter habe sich zu der Auffassung durchringen müssen, es sei gut, die Kanäle nach Osten offenzuhalten; deshalb beurteile er die Moskaureise Schmidts jetzt als opportun. Die »New York Times« sah das ähnlich: »Plötzlich wird der Besuch Helmut Schmidts Ende dieses Monats, den das Weiße Haus bisher mit Argwohn betrachtete und als Zeichen westlicher Schwäche auslegte, von den amerikanischen Politikern als günstige Gelegenheit angesehen, die sowjetischen Absichten herauszufinden.« »Le Figaro« traf den Kern: »Eine bescheidene Bilanz … doch, um gerecht zu sein, alles lief besser als erwartet.« Die sowjetischen und osteuropäischen Medien verbreiteten nur Propagandathesen. Insgesamt traten in der Bewertung weltweit die ökonomischen Fragen hinter den weltpolitischen Problemen zurück; deren Behandlung fand ein überwiegend positives Echo, gemessen an den sehr gedämpften Erwartungen.
    Meine eigene Bilanz war zwiespältig. Positiv war: die Entente mit Valéry Giscard hatte sich abermals bewährt, die Europäer erschienen einig, Carter und Brzezinski hatten zurückgesteckt. Für unsere in wenigen Tagen bevorstehenden Gespräche mit Breschnew und Gromyko hatten wir nun eine klare Grundlage. Auf der negativen Seite stand, daß der amerikanische Präsident meinem Eindruck nach gegenwärtig nicht daran dachte, den zweiten Teil
des Doppelbeschlusses aktiv in die Hand zu nehmen und die INF-Verhandlungen zur Begrenzung der auf sowjetischer Seite schon vorhandenen und sich rasch vermehrenden eurostrategischen SS-20-Raketen tatsächlich zu beginnen. Carter dachte ganz offenkundig nur daran, aus Wahlkampfgründen den Russen gegenüber Härte an den Tag zu legen. Aber diese Härte war nur vorgetäuscht. Er täuschte dabei auch sich selbst; denn er war nicht bereit, in Sachen Afghanistan tatsächlich wirksamen Druck auf die Sowjetunion auszuüben.
    Einer meiner Mitarbeiter hat damals gesagt: »Wir wollen hinsichtlich der eurostrategischen nuklearen Waffen das Gleichgewicht durch Abrüstung wiederherstellen; die USA dagegen wollen das gleiche Ziel durch Aufrüstung erreichen.« Mir schien, daß die amerikanische Haltung sich darauf versteifte. Aber ich glaubte, bis Ende 1983 sei noch viel Zeit, um Einfluß zu nehmen. Wenn Rudolf Augstein damals im »Spiegel« verzweifelt schrieb: »Wir tun, was die Amerikaner sagen; die DDR tut, was die Sowjets befehlen. Aber wenigstens dürfen wir noch motzen«, so teilte ich solche Resignation zu keinem Augenblick. Ich wußte, daß die Außenpolitik in amerikanischen Wahlkämpfen immer zu innenpolitischer Propaganda und zu gegenseitigen Vorwürfen herhalten muß, und

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