Menschen und Maechte
zwar noch wesentlich schlimmer als bei uns in Europa. Aber der amerikanische Wahlkampf würde Anfang November zu Ende gehen.
Als ich am 3. Juli 1980, inzwischen von Moskau zurückgekehrt, die überschwenglichen Lobeshymnen Jimmy Carters über meine Verhandlungen im Kreml las, war ich fürs erste beruhigt: bis zum Präsidentschaftswahltag im November konnte er schwerlich abermals seine Meinung ändern.
Ich habe Carter als Präsident nur noch einmal gesehen, am 20. November im Weißen Haus, nachdem Ronald Reagan die Wahl gewonnen hatte; ich benutzte die Gelegenheit, auch den »President elect« in Washington zu treffen. Der Abschiedsbesuch bei Carter verlief angenehm. Seine südstaatliche Gastfreundschaft und seine persönliche Freundlichkeit bestimmten die Atmosphäre.
Innere Gründe außenpolitischer Diskontinuität
Nach seinem Amtsantritt hatte Präsident Carter den Verbündeten Amerikas klargemacht, vieles von dem, was sie in loyaler Zusammenarbeit mit der voraufgegangenen Ford-Administration in der internationalen Politik unterstützt hätten, sei leider falsch gewesen; er würde jetzt auf vielen Feldern eine völlig neue Politik einschlagen und erwarte unsere Kooperation. Als ihm vier Jahre später Präsident Reagan im Amt folgte, wiederholte sich dieses Drama, wenn auch mit umgekehrtem Vorzeichen. Im Sinne herkömmlicher europäischer Begriffe hätte man die internationale Politik der Ära Nixon-Ford-Kissinger eine Politik der Mitte nennen können; Carter leitete eine Wende um 90 Grad nach links ein und Reagan anschließend eine solche um 180 Grad nach rechts.
Die Ursachen beider Kurswechsel waren vielfältiger Natur, aber sie waren fast ausschließlich in der amerikanischen Innenpolitik begründet, in deren Strukturen und Strukturumbrüchen, im Machtkampf der Parteien, in Stimmungen und Strömungen der Öffentlichkeit wie auch innerhalb der politischen Klasse. Natürlich spielten die Denkgewohnheiten und die Vorurteile der beiden neuen Präsidenten eine wichtige Rolle, die beide mit geringer internationaler Erfahrung nach Washington gekommen waren. Beide brachten sie ihre eigenen Leute mit ins Weiße Haus (darunter einige wenige Frauen), die ihnen in ihrer Zeit als Gouverneur und dann bei ihrem jahrelangen Wahlkampf zur Seite gestanden hatten. Diese Helfer und Berater waren innen- und parteipolitisch durchaus erfahren; in außenpolitischen Fragen hatten die meisten jedoch keinerlei Kenntnisse. Das galt zum Beispiel für Hamilton Jordan oder Jody Powell in Carters Mannschaft genauso wie für Edward Meese oder »Judge« William Clark zu Zeiten Reagans.
Auch frühere Präsidenten hatten ihre persönlichen Vertrauten in das Weiße Haus mitgebracht und ihnen höchst einflußreiche Posten übertragen. Aber bis in die erste Hälfte der siebziger Jahre hatten im Bereich der internationalen Politik immer zwei Gruppen welterfahrener Köpfe ein ausreichendes Gegengewicht gebildet. Zum einen sorgte eine größere Zahl von exzellenten Berufsdiplomaten
und Berufsoffizieren in hohen Stellungen für Kontinuität; zum anderen gab es ein großes Reservoir von urteilsfähigen, außenpolitisch engagierten Privatpersonen, die schon früheren Administrationen gedient hatten.
Dieses Reservoir, früher häufig das »Establishment« genannt, hatte sein Forum und zugleich sein Zentrum im Council on Foreign Relations in New York. Seine Mitglieder waren Rechtsanwälte, Bankiers, auch einige Industrielle und Professoren. Der Council gab (und gibt immer noch) durch Hamilton Fish Armstrong und später durch William Bundy die ausgezeichnete Zeitschrift »Foreign Affairs« heraus, die wesentlich zum Forumcharakter des Council beiträgt. Der Council on Foreign Relations zog mit Erfolg sorgsam ausgewählte jüngere Leute in seine Diskussionen und bereitete sie zunächst auf bescheidene Aufgaben vor; im weiteren Verlauf ihrer Karriere übernahmen sie oft Spitzenaufgaben im State Department, im Pentagon, im Weißen Haus oder an anderen Schaltstellen der internationalen Politik – von der Handels- bis zur Abrüstungspolitik.
Zumeist handelte es sich um Männer, die den lobenswerten Drang verspürten, einige Jahre ihres Lebens dem öffentlichen Dienst zu widmen, und die sich dies finanziell leisten konnten. In der Zwischenzeit gingen sie ihren Berufen nach, hielten sich über alle Entwicklungen auf dem neuesten Stand und waren fast immer bereit, ihrer jeweiligen Regierung oder ihrem jeweiligen Präsidenten auch ehrenamtlich zu dienen, sei
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