Menschen und Maechte
bezüglich Berlins, über den ABM-Vertrag und SALT I wie schließlich über die Helsinki-Schlußakte geeinigt hatte, glaubte das Politbüro, nunmehr könne sich die Sowjetunion in jenen Bereichen, welche von den Verträgen nicht abgedeckt waren, politische und militärische Vorteile verschaffen.
Moskau scheint nicht vorausgesehen zu haben, daß Washington und der Westen insgesamt die neuerliche Ausdehnung sowjetischer Machtpositionen nicht ohne Gegenmaßnahmen hinnehmen würden. So kam es zu dem gewaltigen Ausbau der sowjetischen Hochseeflotte, zum Ausbau der eurostrategischen SS-20-Raketen, zur Unterstützung Vietnams bei der Eroberung von Kambodscha, zum Einmarsch in Afghanistan und zur Expansion des sowjetischen militärischen Einflusses in arabischen, afrikanischen und zentralamerikanischen Staaten. Die Sowjets schienen in der Annahme zu handeln, sie besäßen Carte blanche für jedwede Operation, die nicht ausdrücklich durch zweiseitige Verträge verboten war. Zudem erweckte der Kreml den Anschein einer Verletzung des ABM-Vertrages, nämlich durch Errichtung eines riesigen Radarzentrums in Krasnodarsk, welches zur Antiraketenverteidigung des
ganzen Landes geeignet zu sein scheint (statt nur einer einzigen Zielregion, wie im ABM-Vertrag zugestanden).
Dies alles löste in den USA einen Prozeß tiefgreifender Enttäuschung und Erbitterung aus. Auch Carter, seine Mitarbeiter und Anhänger waren enttäuscht. Man schien tatsächlich geglaubt zu haben, die Entspannung in Europa und die Abmachung zwischen Washington und Moskau seien sozusagen eine ungeschriebene Garantie für zukünftiges sowjetisches Wohlverhalten. Die Konservativen in den USA gaben Carter und seinem Idealismus die Schuld. Die reaktionäre Rechte ging wesentlich weiter; sie hatte »détente« schon längst zu einem Schimpfwort gemacht, auch unter günstigeren Umständen hätte sie SALT II nicht ratifiziert. Jetzt zögerte man nicht, mit ebenso großer Bitterkeit wie Selbstgerechtigkeit zu behaupten, dieses Ergebnis habe man immer vorausgesagt, Carter habe die USA in eine Situation der Schwäche geführt.
Carter hatte tatsächlich über keine eigene Gesamtstrategie verfügt. Auf dem Felde der Rüstungsbegrenzung hatte er sich höhere Ziele gesetzt als seine Vorgänger in der Nixon-Ford-Kissinger-Ära, aber er hatte weniger erreicht als seine Vorgänger. Er hatte den inneren Zusammenhalt des Bündnisses geschwächt, ohne dies zu wollen oder auch nur zu bemerken. In seinem letzten Amtsjahr paßte er sich – eine tatsächliche »Wende«! – vollständig dem inzwischen stark gestiegenen innenpolitischen Druck an und verkündete zumindest verbal eine Politik der »Stärke« gegenüber der Sowjetunion. Als er Anfang 1980 die Amtsgeschäfte an Reagan übergab, hatten die USA keine Konzeption gegenüber der Sowjetunion mehr. Aber auch die neue Mannschaft brachte, außer einer kräftigen Aufstockung des Verteidigungshaushaltes, keinen Entwurf für eine neue Strategie mit ins Amt. Auch in den Jahren seither hat sie keine in sich schlüssige Gesamtstrategie entwickelt.
Seit 1980 bestimmt nun wieder der Wettkampf unbeschränkter Rüstungsanstrengungen die Szene. Reagans Ankündigung im März 1983, durch bisher nicht entwickelte SDI-Systeme alle nuklearen Bedrohungen der USA hinfällig zu machen, war schon in technologischer Hinsicht bodenlos. Politisch kam sie einer bevorstehenden Aufkündigung des ABM-Vertrages gleich; lediglich das Datum
blieb ungewiß. Moskau stand vor der Notwendigkeit, entweder ähnliche Abwehrsysteme zu entwickeln oder die Zahl, das Gewicht und die Sprengköpfe ihrer Angriffsraketen zu verbessern und zu vermehren, um die zukünftigen amerikanischen SDI-Systeme zu unterlaufen oder zu »saturieren«, also quantitativ zu überwältigen. Reagans während seines zweiten Präsidentschaftswahlkampfes im Herbst 1984 gemachtes Angebot, das SDI-System nach seiner Entwicklung auch der Sowjetunion zur Verfügung zu stellen, ist vermutlich nur von sehr wenigen ernst genommen worden; und der Präsident selbst hat offenbar bald verstanden, daß dieser auf das Fernsehpublikum zielende Vorschlag schon deswegen absurd war, weil die Sowjets sich nie darauf hätten verlassen können, daß er von Reagans Nachfolgern eingelöst werden würde.
Fernsehdemokratie à la Reagan
Das Medium Fernsehen verführt dazu, den vermuteten oder durch Meinungsumfrage ermittelten Wünschen und Instinkten des breitesten Publikums nach dem Munde zu reden, möglichst in
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