Menschen und Maechte
Solidarność und die Freilassung der Gefangenen verlangt hatte – wie später der Präsident. Wirtschaftliche Sanktionen – außer bei Getreide – würden die Sowjetunion kaum treffen, denn sie importiere nur gut zwei Prozent ihres Bruttosozialproduktes aus dem Westen. Kreditsanktionen gegen Polen, etwa eine Verweigerung der Umschuldung für 1982, seien in doppelter Hinsicht zweischneidig; sie träfen den kleinen Mann in Polen, aber auch das westliche Banksystem und bedürften deshalb einer sorgfältigen Untersuchung ihrer möglichen Auswirkungen. Überhaupt sei eine gemeinsame Analyse aller Handlungsmöglichkeiten dringend nötig; denn auch die USA – ebenso wie ich selbst – wüßten keine Antwort auf die Frage, wie der Westen auf eine mögliche weitere Verschärfung der unseligen Lage in Polen reagieren solle. Im übrigen sei Jaruzelski nach meinem Eindruck keine Marionette; er sei in erster Linie ein Pole, in zweiter Linie ein Militär und erst in dritter Linie ein Kommunist.
Abb 18 Als Außenminister unter Reagan agierte Alexander Haig (oben, ganz links) nicht ganz so umsichtig wie zuvor als Oberster Befehlshaber der Alliierten Streitkräfte in Europa (Aufnahme 1982).
Abb 39 Schwierig jedoch gestaltete sich Schmidts Verhältnis zu dem amerikanischen Verteidigungsminister Caspar Weinberger (Aufnahme 1981).
Alexander Haig als Außenminister war in diesem Kreise derjenige, der darauf antwortete. Ganz ohne Zweifel sei Jaruzelski in seinen Entscheidungen nicht frei, er handele unter Druck aus Moskau; die Sowjets hätten seit September die Einführung des Kriegsrechts verlangt. Haig sprach sich nicht gegen humanitäre Hilfe aus, vorausgesetzt, »daß sie wirklich bei den polnischen Menschen ankommt; man kann nicht zuschauen, wie sie verhungern«. Aber Kredite an den Staat wolle man nicht geben, solange die Regierung die Bevölkerung unterdrücke. Was die Konsultationen angehe, sagte er, so habe sein Vertreter Lawrence Eagleburger von seinen Gesprächen in Europa den Eindruck mitgebracht, die Europäer seien nicht bereit, an Sanktionen mitzuwirken (was stimmte); deshalb habe der Präsident geahnt, er werde bei konkreten Konsultationen negative Antworten erhalten, und so habe er dann auf eigene Faust gehandelt.
Diese Erklärung kam mir sehr plausibel vor; um so weniger verständlich war mir die amerikanische Erwartung, die europäischen Regierungen würden sich nachträglich den einseitig verhängten Sanktionen anschließen. Das in der Sanktionsfrage für die USA erreichbare Maximum war eine Selbstverpflichtung der Europäer (und der anderen Verbündeten der USA, etwa auch Australiens), die amerikanischen Handelssanktionen gegen die Sowjetunion nicht durch vermehrte Lieferungen zu unterlaufen.
Haig sagte, die Kommentare der amerikanischen Massenmedien
gegen die Haltung Bonns hätten auch ihn überrascht; sie seien nicht von seinem Ministerium stimuliert worden (was ich glaubte), auch nicht vom Weißen Haus (was ich nicht glaubte). Er bestätigte, daß meine Rede vom 18. Dezember inhaltlich fast identisch sei mit der späteren Rede Reagans. Es sei jetzt nötig, den Eindruck herzustellen, daß man handeln wolle (»sense of action«).
Außer diesen beiden Abendrunden habe ich in jenen zweieinhalb Tagen Anfang Januar 1982 den Auswärtigen Ausschuß des Senats besucht, ein längeres Gespräch mit Verteidigungsminister Weinberger geführt und schließlich auch ein größeres Zeitungsinterview gegeben. Bundesminister Genscher und die Staatssekretäre Becker und von Staden waren ebenfalls tätig. Wir suchten das Unsrige zu tun, ein günstiges Umfeld für meine Gespräche mit Reagan zu schaffen. Die Administration sah ein, daß sie mit ihren Vorwürfen auf einseitige Darstellungen der amerikanischen Massenmedien hereingefallen war – allerdings waren diese Medien zweifellos von übereifrigen Angehörigen der Administration geimpft worden. Jedenfalls fielen die großen Sprechblasen alsbald geräuschlos in sich zusammen.
Am Tag darauf eröffnete der Präsident das Thema Polen mit der Bemerkung, es sei ihm bewußt, die amerikanischen Medien hätten mich ungerecht behandelt. Er selbst sei »jedenfalls sehr erfreut über alles, was Sie während Ihres Besuches zu diesem Thema gesagt haben«. Danach war es nicht schwierig, das gemeinsame Kommuniqué zu verabschieden. Einige amerikanische Kommentatoren waren mit dem Kommuniqué zufrieden, zeigten sich aber erstaunt, daß der deutsche Bundeskanzler nachgegeben habe und
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