Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Menschen und Maechte

Menschen und Maechte

Titel: Menschen und Maechte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Schmidt
Vom Netzwerk:
Westgrenze verständigte, abgelehnt, auch ein »Ost-Locarno« zu schaffen – weil sie sich hinsichtlich der damals neuen deutsch-polnischen Grenze nicht binden wollte. Hitler, Himmler und der sogenannte Generalgouverneur im besetzten Polen, Frank,
hatten die damalige antipolnische Stimmung in Deutschland, die freilich in Polen unter umgekehrten Vorzeichen ihr Gegenstück gehabt hatte, ins unvorstellbar Grauenhafte gesteigert.
    So war ich in all den Jahren und Jahrzehnten nach 1945 zutiefst bewegt von dem Wunsche nach einer Aussöhnung zwischen Polen und Deutschen; dies wird meine Haltung auch in Zukunft sein, und ich teile sie mit vielen anderen Deutschen. Die Aussöhnung war ein entscheidender Beweggrund für Willy Brandts – und später meine – Ostpolitik. Uns war völlig klar, daß wir die kommunistische Herrschaft, die unter sowjetischer Aufsicht in der Volksrepublik Polen etabliert worden war, als Tatsache in Rechnung stellen mußten. Wer als Deutscher mit Polen zu einer Verständigung kommen wollte, mußte mit der tatsächlichen Regierung in Warschau Verträge schließen – ob mit Gomulka, Gierek, Kania oder Jaruzelski. Jeder westdeutsche Versuch, zwischen das polnische Volk und seine Regierung Keile zu treiben, dem ersteren freundliche Worte zu sagen, der letzteren aber Hilfe zu verweigern, mußte nicht nur scheitern; er mußte den kommunistischen Propagandisten in Warschau auch Argumente gegen den angeblichen »deutschen Revanchismus« liefern. Unkluge Reden einiger weniger Funktionäre der westdeutschen Flüchtlingsverbände – darunter zweier Bundestagsabgeordneter der CDU – hatte die polnische Führung mit großem psychologischem Erfolg jahrelang gegen die Deutschen ausgespielt. Für Genscher und mich kam es deshalb überhaupt nicht in Betracht, die Bundesrepublik durch Washington in eine gegen Warschau gerichtete provozierende Rolle drängen zu lassen.
    Es kam hinzu, daß Wirtschaftssanktionen den kleinen Mann in Polen deutlicher treffen als die Personen an der Spitze der Partei. Um der Masse der Bevölkerung angesichts der akuten Lebensmittelknappheit in Polen zu helfen, riefen wir unsere Landsleute daher zu privaten Paketsendungen auf. Beide Kirchen in der Bundesrepublik halfen dabei sehr wirkungsvoll, indem sie die Versendung an ihnen namentlich bekannte Pfarrer und Kirchengemeinden organisierten. Westdeutsche Bürger haben von Weihnachten 1981 an Millionen Lebensmittelpakete nach Polen geschickt; noch im Sommer 1982 waren es täglich mehrere zehntausend. Wir haben damit
das amerikanische Handelsembargo gewiß nicht unterlaufen, wohl aber haben wir ungezählten polnischen Familien geholfen. Ich war sehr stolz darauf, daß so viele Deutsche sich durch chauvinistische Propaganda nicht davon abhalten ließen, ihren polnischen Nachbarn zu helfen.
    In den amerikanischen Medien fand ich zwar wenig Verständnis für meine Haltung, die mit irgendwelchen Interessen deutscher Unternehmen oder mit unserer Beschäftigungslage – wie in den USA leichtfertig unterstellt wurde -wahrlich nichts zu tun hatte; aber ich hatte die Genugtuung, die Zustimmung vieler außenpolitisch erfahrener amerikanischer Freunde zu finden. George Kennan sagte öffentlich, er könne sich ein positives Ergebnis der amerikanischen Sanktionen schwerlich vorstellen. George Ball nannte Reagans Sanktionen »keine majestätischen Löwen, sondern eher zahnlose Pudel« und fügte – gleichfalls öffentlich – die Frage hinzu: »Wann werden wir je lernen, daß die Erhaltung der westlichen Einheit wichtiger ist als der wirkungslose Versuch, Moskau einzuschüchtern?«
    Am 5. Januar 1982 hatte Botschafter Hermes eine Reihe alter Freunde und ihre Ehefrauen zum Abendessen mit mir in die Washingtoner Botschaft geladen. Natürlich waren die gegenwärtige Lage Polens und die Haltung der Sowjetunion die Hauptthemen. Zwar gingen die Meinungen der Gäste auseinander, aber keiner kam auf den Gedanken, meine Regierung sei dabei, der Sowjetunion nach dem Munde zu reden.
    John McCloy riet mir, den in Deutschland neuerdings zu hörenden antiamerikanischen und neutralistischen Äußerungen einiger Politiker entschieden entgegenzutreten; gleichzeitig bekräftigte er seine lange und unerschütterliche Verbundenheit mit Deutschland. Henry Kissinger ging in seiner Übereinstimmung mit der Reagan-Administration am weitesten. Er warnte vor einer Unterschätzung des amerikanischen Isolationismus, der sich bei starker Enttäuschung über Europa mit dem

Weitere Kostenlose Bücher