Menschen und Maechte
»erstmalig zugegeben, daß die Sowjetunion für die Lage in Polen mitverantwortlich« sei. Sie wollten auch jetzt nicht zur Kenntnis nehmen, daß ich lange zuvor Breschnew einen ernsten Brief in dieser Sache geschrieben hatte, übrigens als einziger der europäischen Regierungschefs. Brzezinski (seit einem Jahr Privatmann) ging so weit, noch am 11. Januar in »US News and World Report« zu behaupten, »Schmidt handelt bereits wie ein Neutraler, obwohl er sich zur Einheit des Bündnisses bekennt«. Aber dies war eine eher groteske Ausnahme. Im allgemeinen war das Echo in den USA gut.
Die »New York Times« hob am 7. Januar einen wichtigen Punkt hervor: das Ergebnis liege in dem stillschweigenden Einverständnis, trotz der polnischen Situation mit der Sowjetunion weiter zu verhandeln. Dies war in der Tat richtig. Allerdings: stillschweigend war dieses Einverständnis nur nach außen, in Wirklichkeit war es zwischen den beiden Regierungen ausdrücklich hergestellt worden. Mit dem Gesamtergebnis war ich durchaus zufrieden. Auch die deutschen Medien kommentierten die Ergebnisse des Treffens überwiegend freundlich – bis auf die Springer-Presse und F. J. Strauß, der uns seit Tagen »Würdelosigkeit« vorgeworfen und Verbindungen der CSU zu Mitarbeitern im Weißen Haus zum Zwecke der Stimmungsmache gegen Bonn benutzt hatte. Am stärksten kam die Billigung der Bonner Position in britischen, italienischen, holländischen und skandinavischen Zeitungen zur Geltung; dabei fehlten auch nicht die zutreffenden Hinweise auf die Übereinstimmung im Urteil mit dem Vatikan (dem sich freilich in puncto Polen der Vorsitzende der Fuldaer Bischofskonferenz, Kardinal Höffner, damals noch nicht angeschlossen hatte).
Die französischen Medien folgten eher der etwas säuerlichen Reaktion François Mitterrands. Sein Außenminister hatte beim Treffen der zehn EG-Außenminister intern seine Kritik an Polens Regierungssystem als der eigentlichen Ursache der Fehlentwicklungen stark abgeschwächt, da er offensichtlich auf seine kommunistischen Regierungspartner Rücksicht nehmen mußte; die Regierung in Warschau durfte plötzlich nicht als »kommunistisches System« apostrophiert werden. Nach außen gebärdete man sich in Paris aber besonders entrüstet und gegenüber den USA als besonders bündnistreu. Gleichwohl beteiligte sich auch Frankreich nicht an den amerikanischen Sanktionen.
Schon fünf Monate später, während des achten Weltwirtschaftsgipfels in Versailles, kam es zur Umkehrung: Als Reagan darauf beharrte, handelspolitische Maßnahmen als außenpolitisches Instrument gegen die Sowjetunion einzusetzen, kam es coram publico zu einer langen und scharfen Kontroverse zwischen Reagan und Mitterrand. Reagans abermals einseitiger, nicht abgestimmter Versuch, die europäisch-sowjetische Erdgasröhrenvereinbarung
durch ein die Souveränität der europäischen Staaten verletzendes Embargo zu unterminieren, das Teillieferungen in Europa tätiger amerikanischer Tochterfirmen verbieten sollte, brachte nun auch Mitterrand und die französische Presse auf jene Position, die wir in Bonn während der ganzen Zeit eingenommen hatten.
Ich habe hier die Kontroverse über die zweckmäßige »Antwort« des Westens auf die Unterdrückung der polnischen Freiheitsbewegung deshalb so ausführlich geschildert, weil sie auf charakteristische Weise den möglichen Konflikt zwischen Fernsehdemokratie und politischer Ratio beleuchtet. Zwar hat sich in diesem Falle die Vernunft durchgesetzt; alle amerikanischen Maßnahmen wurden später ziemlich sang- und klanglos beendet, ohne daß die Lage in Polen sich grundlegend geändert hätte. Aber solche Konflikte können und werden sich wiederholen. Selbst in diesem Falle der Konfliktbeilegung durch gleitflugartige Revision des emotionalen Standpunktes hat sich die Ratio keineswegs auch im Bewußtsein der Beteiligten durchgesetzt. Weder das Gros der amerikanischen Medien noch die Administration haben sich eingestanden, daß die in Jalta vorgenommene Teilung Mitteleuropas in zwei Einflußsphären (oder in eine westliche Einflußsphäre und einen östlichen Machtblock) nicht durch Fernsehansprachen, große Gesten und anschließende kleine Maßnahmen aufgehoben werden kann.
Deutschland hat die Teilung, unter der es seit vierzig Jahren leidet, als Auslöser und Verlierer des Zweiten Weltkrieges hinnehmen müssen; die Deutschen haben des Friedens wegen auch die ihnen oktroyierten neuen Grenzen zum Gegenstand von
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