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Menschen und Maechte

Menschen und Maechte

Titel: Menschen und Maechte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Schmidt
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derzeitigen Regimes gegen das polnische Volk anhalten«. Zugleich hatten wir aber an die Bürger unseres Landes appelliert, individuelle moralische und materielle Hilfe für die Mitmenschen unseres Nachbarvolkes zu
leisten (was in großem Umfang geschah). Ich selbst hatte im gleichen Sinn zum Bundestag gesprochen; eine Woche zuvor, noch als Gast auf dem Territorium der DDR, hatte ich öffentlich vor der Presse der DDR gegen die Einmischung von außen in die Angelegenheiten Polens Stellung genommen.
    In sehr weitgehender Übereinstimmung mit der Entschließung des deutschen Bundestages hatten die zehn Außenminister der Europäischen Gemeinschaft am 4. Januar 1982 einen gemeinsamen Beschluß gefaßt; da inzwischen die USA ihre wirtschaftlichen Maßnahmen gegen die Sowjetunion angekündigt hatten, erklärten die zehn außerdem, daß sie eine »enge und positive« Konsultation mit den USA erwarteten. Sie warnten die Sowjetunion ausdrücklich vor einer militärischen Intervention durch den Warschauer Pakt. Die Entschließung der zehn war wesentlich dem führenden Einfluß von Außenminister Genscher zu verdanken.
    Weder die Medien der USA noch das Weiße Haus hatten dies alles zur Kenntnis genommen. Wohl aber hatten einige Leute im Weißen Hause die amerikanischen Medien unter der Hand wissen lassen, man werde mit Schmidt hart und deutlich reden, auch über die »möglicherweise schwerwiegenden Konsequenzen für das westliche Bündnis, die sich ergeben könnten, sofern die Reaktion der Europäer weiterhin so schwach bleibt wie bisher«. Gleichzeitig fütterte man die Medien mit der Erwägung, man werde die Erdgasröhrenvereinbarung, über die gerade zwischen einem europäischen Konsortium und Moskau verhandelt wurde, von amerikanischer Seite zum Scheitern bringen. Der Höhepunkt dieser von unverantwortlichen Mitarbeitern Reagans ausgestreuten Drohungen war der Hinweis, man könne amerikanische Banken veranlassen, ihre Polen gewährten Anleihen zurückzuziehen, was in westeuropäischen Finanzkreisen Wellen auslösen werde.
    Ich beschloß, in der Sache unnachgiebig zu bleiben. Für mich waren zwei Gesichtspunkte entscheidend, die in den USA offenbar niemand bereit gewesen war, öffentlich darzulegen. Die ganze Welt hatte ja den sowjetischen Einmarsch in Budapest 1956 und in Prag 1968 ebenso miterlebt wie die Invasion in Laos und Kambodscha und die Besetzung Afghanistans. Diese Vergewaltigungen anderer
Völker durch die Sowjetunion oder ihre vietnamesischen Verbündeten hatten jedesmal weltweite Empörung ausgelöst – genauso wie der Bau der Mauer quer durch Berlin 1961. Ich hatte das alles miterlebt und war wie alle Welt schockiert gewesen. Aber ich hatte auch verstanden, daß die USA einerseits über keine einsetzbaren wirksamen Machtinstrumente verfügten, diese Vergewaltigungen rückgängig zu machen, und daß sie andererseits – mit Recht – das Risiko eines nuklearen Krieges für zu groß hielten, um es in Kauf zu nehmen. Im Falle Polens war mir klar, daß jede Eskalation durch den Westen bei den freiheitsliebenden Polen Hoffnungen wecken und sie verleiten konnte, im Vertrauen auf amerikanische oder westliche Hilfe ihr Leben und jedenfalls ihre persönliche Freiheit aufs Spiel zu setzen – daß aber nach einiger Zeit Washington zu der Erkenntnis gelangen würde, die ganze dramatische Anstrengung sei aussichtslos. Man würde die Sache im Sande verlaufen lassen und durch ein neues fernsehgerechtes Thema ersetzen. An einer solchen würdelosen Inszenierung, die schließlich zu Lasten der polnischen Freiheitsbewegung, zu Lasten der Menschen gehen mußte, wollte ich mich nicht beteiligen.
    Ich hatte aber auch ein spezifisch deutsches Motiv, das sich aus der jüngsten deutschen Geschichte in der Ära Hitler zwangsläufig für mich ergab. Kein anderer Staat, kein anderes Volk hatte unter der militärischen Besetzung durch Deutsche schlimmer gelitten als Polen; die Vernichtungslager, in denen Menschen zu Millionen umgebracht wurden, hatten auf polnischem Gebiet gelegen, die meisten der ermordeten Juden waren polnische Juden gewesen. Nach Kriegsende hatte Stalin eine Verschiebung des polnischen Territoriums um mehrere hundert Kilometer nach Westen und die Vertreibung vieler Millionen Deutscher aus ihrer angestammten Heimat durchgesetzt. Bereits in den zwanziger Jahren hatte es die Weimarer Republik, die sich 1925 in Locarno durch einen zwischen Stresemann und Briand geschlossenen Vertrag mit Frankreich über die deutsche

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