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Menschen und Maechte

Menschen und Maechte

Titel: Menschen und Maechte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Schmidt
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Gewaltverzichtsverträgen gemacht. Auf andere Weise leiden die Polen unter der Teilung Europas, die sie der sowjetischen Oberhoheit unterworfen hat; auch haben sie große Teile ihres Landes an die Sowjetunion abtreten müssen. Zur Zeit ist nicht abzusehen, wie dem moralisch und historisch gleich unhaltbaren Zustand der Teilung Europas abgeholfen werden kann. Jeder Versuch, den Freiheitswillen der Polen, Ungarn, Tschechen oder Deutschen als Hebel für eine gewaltsame Zurückdrängung des sowjetischen Machtbereiches zu nutzen, läuft das Risiko einer gewaltsamen Intervention Moskaus; am Ende drohten Bürgerkrieg und Krieg. Der Gedanke
des »roll-back« hat sich 1953 in der DDR, 1956 in Ungarn und 1968 in der Tschechoslowakei als undurchführbar erwiesen, weil – Gott sei Dank! – kein amerikanischer Eventualvorsatz dahinterstand, notfalls einen Krieg mit der Sowjetunion zu wagen. Nichts spricht dafür, daß dies morgen anders sein wird.
    Die meisten Völker Europas haben schlimmere Kriegserfahrungen hinter sich als die Bewohner Nordamerikas, welche seit Generationen keine fremden Truppen auf dem Boden einer zerstörten Heimat erlebt haben. Deshalb verlangen die Europäer nach Ausgleich, Verständigung, Gleichgewicht, nach Friedenssicherung durch vertraglich geregelte Rüstungsbegrenzung. Sie sind durchaus nicht bereit, sich militärisch überwältigen zu lassen. Selbst die Polen würden das geringe Maß ihrer Selbstbestimmung gegen einen westlichen Angriff mit nationalem Enthusiasmus verteidigen; ebenso würden die Bürger der Bundesrepublik ihr Land gegen einen Angriff aus dem Osten verteidigen. Aber sie alle – auch die Bürger der DDR – wollen weder durch die eine noch durch die andere Weltmacht in das Risiko eines Krieges oder auch nur in ernsthafte politische Konflikte mit ihren Nachbarn hineingetrieben oder -gezogen werden. Das ist nicht Feigheit oder »appeasement«, sondern diese Haltung entspringt der geschichtlichen Erfahrung, der politischen Vernunft – und dem sittlichen Empfinden.
    Die Konsequenzen dieser Ratio sind bitter für die Völker Europas, besonders bitter für die, welche sich nach Freiheit und nach Demokratie sehnen. Die Sowjetrussen setzen sich, ihrer jahrhundertelangen Tradition gemäß, ohne große Skrupel über die Freiheitssehnsucht von Millionen Menschen in ihrem Machtbereich hinweg. Die Amerikaner können es sich nicht leisten, den Friedenswillen der Menschen im östlichen wie im westlichen Teil Mitteleuropas geringzuachten; das würde ihre eigene Empörung über die Unterdrückung des Menschen im östlichen Teil desavouieren. Aber das schreckliche, unlösbar tragische Dilemma, sich sittlich zum Eingreifen gedrängt zu wissen, politisch aber nichts Wesentliches tun zu können, muß ertragen werden. Es ist sehr schwierig, dies einem auf einfache Formeln und Lösungen eingestellten Fernsehpublikum klarzumachen.

    James Reston hat 1986 in einem Vortrag über die Rolle der Massenmedien in der amerikanischen Außenpolitik gesagt, die Medien seien nicht nur Mitspieler; unglücklicherweise bestehe die Gefahr, daß sie selbst und ihr Betrieb an die Stelle von Diplomatie und Außenpolitik träten. Dies sei freilich keine Rolle, welche die Medien tatsächlich ausfüllen könnten. Besonders das Fernsehen beeinflusse in immer stärkerer Weise das Verhalten der Politiker und der Regierungen der USA. Reston konstatierte eine »Allianz« zwischen Regierung und Medien; dabei sei aber das Gewicht gefährlich, welches die Politiker auf ihre Fernsehauftritte legten: Sie irrten sich, »wenn sie glauben, tatsächlich das zu sein, was sie in Wahrheit für die Öffentlichkeit bloß darstellen«. Umgekehrt warnte Reston die Medien: »Weil wir Medienleute meistens nicht wirklich wissen, was die Regierung tut, sind die Versuchungen zur Manipulation der öffentlichen Meinung grenzenlos.« Das Auge der Kamera mache eben einen ungeheuren Eindruck auf die öffentliche Meinung und auf die Politiker. Restons Vortrag endete beruhigend: Die amerikanische Presse sei heute besser informiert, weniger parteiisch, aber verantwortungsbewußter als jemals zuvor. Zwar habe er Sorgen wegen des Einflusses des Fernsehens auf die Politik; aber er sei getröstet durch den Gedanken, daß von allem, was wir seit dem Zweiten Weltkrieg befürchtet hätten, das allermeiste niemals eingetreten sei.
    Ich verstehe Restons Ironie. Ich selbst bin allerdings weniger skeptisch hinsichtlich des politischen Einflusses des Fernsehens als

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