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Menschen und Maechte

Menschen und Maechte

Titel: Menschen und Maechte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Schmidt
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tönernen Kriegerfiguren in Xian besichtigte, und dann noch einmal in den buddhistischen Tempeln rund um den West-See von Hangzhou war ich in ähnlicher Weise überwältigt.
    Die traditionsreiche Kultur des riesigen Reiches zeigte sich auch bei den offiziellen Essen. Man saß an runden Tischen, die in der Mitte Dekorationen aus Kunstblumen trugen, farbenprächtige Blüten und Blätter in allen Schattierungen. Die Speisen der zahlreichen Gänge des Festessens schienen weniger unter kulinarischen als unter ästhetischen Aspekten geordnet und serviert zu werden; überall kunstvoll geschnittene Ornamente, Schmetterlinge und Vögel aus Rettichen, roten Möhren und roter Bete. Ein Höhepunkt war eine riesige grüne Melone, die als Salatschüssel diente: Die Außenschale war mit eingeschnittenen komplizierten Mustern verziert, die das helle Fruchtfleisch zum Vorschein brachten. Auch ein Aquarium mit lebenden Goldfischen als Mittelpunkt des Tischschmuckes beeindruckte uns; schon ihrer langen schleierförmigen Flossen und Schwänze wegen waren die prächtigen Goldfische eine Sehenswürdigkeit. Aber ebenso ungewöhnlich war für uns das Schmatzen und Schlürfen, das in China nun einmal üblich ist.
    Man aß von kleinen Tellern, die nach jedem Gang gewechselt wurden; lediglich die Stäbchen blieben während des Essens dieselben. Natürlich verschmähten wir die angebotenen Messer und Gabeln und aßen ebenfalls mit Stäbchen, was wir im Flugzeug schon ein wenig geübt hatten. Deng Xiaoping machte sich ein Vergnügen daraus, meine Fingerhaltung zu verbessern, wenn ich allzu ungeschickt war. Die heißen Tücher, die immer wieder gereicht wurden, waren eine große Annehmlichkeit. Nach dem Toast ging Deng um den Tisch herum, um mit jedem Gast anzustoßen – und zwar mit Mao-Tai: »Gambé!« Man muß sich an den Geruch dieses Hirseschnapses als Europäer erst gewöhnen. Einem unserer Sicherheitsbeamten lief eine im Koffer mitgeführte Flasche aus und verbreitete enorme Gerüche; der Arme wurde weidlich verspottet.

    Abb 42 Deng war ein aufmerksamer und charmanter Gastgeber. Während des Festessens in der Großen Halle des Volkes spielten chinesische Musiker »Am Brunnen vor dem Tore« und andere deutsche Melodien (rechte Seite).

    Abb 8

    Während des Essens spielte ein chinesisches Orchester deutsche Melodien; an den »Brunnen vor dem Tore« kann ich mich gut erinnern. Das Ende des Essens wurde über Lautsprecher angesagt; die chinesischen Gäste nahmen das übriggebliebene Konfekt für die Familie mit nach Hause. Natürlich gaben wir uns mit dem »Gegenessen« in der Deutschen Botschaft ebenfalls große Mühe; wir hatten Lübecker Marzipan und für die Tischdekoration deutsche Schnittblumen mitgebracht – diese hatten allerdings auf dem Fluge sehr gelitten und mußten in einer Badewanne unserer Botschaft aufgefrischt werden.
    Maos Kulturrevolution war damals, im Jahre 1975, noch keineswegs überwunden; meine Sorge, der Fanatismus der radikalen Eiferer könnte die kostbare Hinterlassenschaft der Jahrtausende noch weiter zerstören, war groß. Wir hatten viel über die Absurditäten und über die Grausamkeiten der zurückliegenden Jahre gehört und gelesen. Ich hatte begriffen, daß Mao die Kulturrevolution der sechziger Jahre ins Leben gerufen hatte, um die Entstehung neuer Klassen zu verhindern, um die Herrschaft des Parteiapparates zu zerschlagen und um ihm, dem großen Vorsitzenden, wieder die volle Macht über Partei und Reich zurückzugeben. Aber abgesehen von einer Opernaufführung in der Großen Halle des Volkes, die ich in ihrer Mischung aus rhythmisch akzentuierter Musik, tänzerischer Akrobatik, grellem Bühnenbild und holzhammerartiger Agitation als kitschige Rhetorik empfand, kamen uns die Folgen der Kulturrevolution kaum zu Gesicht.
    Unverkennbar war die ungeheure Prävalenz des Vorsitzenden Mao. Jeder meiner Gesprächspartner bezog sich auf das, was Mao mir kurz zuvor gesagt hatte; bei ihren Ausführungen – auch im Falle Deng Xiaopings – handelte es sich kaum ein einziges Mal um eigene gedankliche Beiträge, sondern lediglich um Erläuterungen,
Ausfächerungen, um Vordergrund und Hintergrund zu Maos holzschnittartig-kompakter Gesprächsführung. Offenbar hatten sie alle unverzüglich eine Nachschrift des vorausgegangenen Gesprächs zwischen Mao und mir erhalten. Dies ist zwar in wohlorganisierten Regierungen fast überall auf der Welt ähnlich; aber mit der Ausnahme Schah Reza Pahlevis und Nicolae Ceauşescus

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