Menschen und Maechte
habe ich eine derart bedingungslose Orientierung auf den Staatschef nirgendwo erlebt.
Dies mag mit den damaligen Auseinandersetzungen der Fraktionen und Gruppierungen in der Partei zusammengehangen haben. Der Tod Zhou Enlais war abzusehen, und auch der Tod von Mao selber lag erkennbar nicht mehr in weiter Ferne. Vielleicht maskierten sich die Gesprächspartner auf diese Weise, um ihre Gedanken für sich zu behalten und nicht nach einem für sie negativen Ausgang des bevorstehenden Machtkampfes belangt oder gar bestraft werden zu können. Deng allerdings wurde im April 1976 noch von Mao selbst in die Wüste geschickt. Es war eben noch die Zeit der kleinen roten Fibel mit den Worten des großen Vorsitzenden.
Mao Zedong
Maos Haus lag in der Verbotenen Stadt, an deren äußerem Rand. Es war außen ebenso unscheinbar wie innen: kein Bild oder Rollbild an den Wänden, sehr geschäftsmäßige Möbel, Bürogerät, einige Sessel im Halbkreis – mit Schondecken auf Polstern und Armlehnen. Der erste Eindruck dieses vielgerühmten und vielgeschmähten Mannes, der uns hier stehend empfing und der zweifellos eine Gestalt der Weltgeschichte war und bleiben würde, war erschrekkend. Das Kinn hing herunter, der Mund stand offen: ein verfallenes Gesicht. Mao konnte uns nicht entgegengehen; ein Mann nach einem schweren Schlaganfall, so schien es mir. Wir gruppierten uns zum »Familienphoto«: meine Frau, mein Kollege Kurt Gscheidle, Klaus Bölling, Marie Schlei, Deng Xiaoping sowie Maos und meine Mitarbeiter, darunter unser Botschafter Rolf Pauls.
Anschließend wurden die meisten Begleiter schnell wieder hinausgebeten. Das chinesische Fernsehen hatte die Begrüßung durch Mao aufgenommen. Als die Aufnahmen abends ausgestrahlt wurden, gewann ich den Eindruck: Hier soll ein Volk auf das bevorstehende Ende seines Führers vorbereitet werden. Der Empfang schien zunächst eine reine Höflichkeitsgeste zu sein, ein Gespräch konnte Mao anscheinend gar nicht mehr führen. Denn er krächzte und konnte nicht mehr gehörig artikulieren; eine der drei Frauen um ihn herum schien seine Begrüßungsworte zu erfinden, tat aber so, als würde sie ihn übersetzen.
Dennoch war dieser insgesamt trostlose Eindruck falsch. Als wir uns gesetzt hatten – Mao brauchte dazu Hilfe –, entwickelte sich sogleich ein lebhaftes Geplänkel. So unzweifelhaft er in physischer Hinsicht nur noch ein Wrack war, so unverkennbar waren seine geistige Präsenz und seine Lebhaftigkeit. Seine Beine seien ihm leider nicht mehr dienstbar, auch falle ihm das Sprechen schwer, sagte er beim Hinsetzen. Die drei Dolmetscherinnen (eine von ihnen Vizeministerin, eine andere Abteilungsleiterin Europa im Außenministerium) beratschlagten einige Sekunden, was er wohl habe sagen wollen, ehe sie übersetzten. Dies kam im Verlauf des Gesprächs sehr oft vor. Bisweilen fragten sie zurück, und Mao versuchte, seine Worte auf kleine bereitliegende Zettel zu schreiben, wenn sie ihn trotz aller Wiederholungen nicht verstanden hatten.
Offenbar war man rundum an diese Prozedur gewöhnt, denn all das fand in durchaus heiterer Stimmung statt, bisweilen begleitet vom Gelächter der Frauen; es gab keinerlei Geniertheit, auch keine Spur von höfischer Ehrerbietung. Die Technik der Übertragung seiner Gedanken zunächst in verständliches Chinesisch und danach ins Englische war jedoch sehr zeitaufwendig; offensichtlich kostete ihn das Artikulieren Kraft. Beides Grund dafür, daß er sich in einer ungewöhnlichen Weise auf kurze Sätze konzentrierte. Er sprach ohne Schnörkel, aber nicht ohne Humor.
Das Gespräch begann mit beiderseitigen Komplimenten. Mao über Deutschland: »Die Deutschen sind gut.« Dann genauer gezielt: »Die Westdeutschen sind gut.« Ich sprach über die Errungenschaften des chinesischen Volkes in den letzten fünfundzwanzig Jahren unter seiner Führung. Auch erwähnte ich Marie Schleis Vorliebe für Maos Gedichte.»Die Errungenschaften sind zu klein«, entgegnete Mao. »Ich kann übrigens keine Gedichte schreiben. Aber ich weiß, wie man Kriege führt und wie man sie gewinnt.«
Abb 9 Zweifellos eine Gestalt der Weltgeschichte: Auch wenn Mao Zedong in physischer Hinsicht nur noch ein Wrack war, so waren doch seine geistige Präsenz und seine Lebhaftigkeit unverkennbar.
Auf einen Punkt kam Mao im Verlauf des mehrstündigen Gespräches immer wieder zurück: auf die Unvermeidlichkeit eines Krieges mit der Sowjetunion.
So kamen wir schnell zu einem der Hauptthemen, die er
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