Menschen und Maechte
brauchen. Sollte die Einigung Europas freilich schneller kommen, als ich heute glaube, so wird Europa sehr stark erscheinen. Wird die Sowjetunion unter solchen Umständen ihren Druck auf Mittelasien oder sogar auf den Fernen Osten verlagern?«
Mao sehr lapidar: »Das ist denkbar. Deshalb müssen wir uns gegen ihre Ankunft wappnen.« Damit wendete sich das Gespräch wieder dem asiatischen Raum zu, und ich fragte nach der Rolle Japans. Was er, Mao, von der Abhängigkeit der japanischen Sicherheit von den USA halte. Mao antwortete, ohne zu zögern: »Japan allein kann nicht viel erreichen; es hat weder Öl noch Kohle, weder Eisen noch genügend Lebensmittel. Die Bevölkerungszahl allein ist kein zureichender Faktor. Tokio braucht das Bündnis mit den USA, es ist gezwungen, sich auf die USA zu verlassen.«
Dann rügte er hinzu: »Die USA haben ihre Schutzverpflichtungen zu weit ausgedehnt. Außer Japan gegenüber sind sie Beistandszusagen auch gegenüber Südkorea, Taiwan, den Philippinen, Indien, Australien, Neuseeland, indirekt auch gegenüber Thailand eingegangen; dazu kommt dann der Nahe Osten, schließlich Europa. Das kann nicht funktionieren. Die Amerikaner versuchen, mit zehn Fingern zehn Flöhe festzuhalten. Aber das kann niemand! Ihr Europäer müßt euch auf eure eigene Stärke verlassen; es ist eine zweitklassige Politik, auf die Hilfe anderer zu setzen!«
Am Ende des stundenlangen Gesprächs dankte ich Mao und sagte, während ich seine schlaffe Hand hielt, seine Gedanken seien für mich ein wertvoller Stein im Mosaik meiner Sicht der Weltlage. Dann fügte ich hinzu: »Viele westliche Staatsmänner waren vor mir bei Ihnen, andere werden folgen und Sie nach Ihrer Einschätzung der Weltlage fragen. Das legt Ihnen Verantwortung auf. Ihr Wort hat große Bedeutung.«
»Ach, wissen Sie«, entgegnete Mao nüchtern, »weder die Franzosen
noch die Amerikaner wollen auf mich hören.« Ich zitierte das Wort vom steten Tropfen, der den Stein höhlt.»Ja – aber ich habe nicht mehr genug Wasser. Sie müssen Ihr Wasser dazu tun, um den Stein zu höhlen.« Der Satz war durchaus zweideutig gemeint, und die ganze Runde, Deutsche und Chinesen, lachte schallend.
Am Nachmittag wurde meine Frau von der Ehefrau des chinesischen Botschafters in Bonn gefragt, ob auch sie Mao gesehen habe. Meine Frau bejahte und berichtete von Maos Händedruck. Die Diplomatenfrau ergriff daraufhin impulsiv die Hand meiner Frau, die eben noch in Maos Hand gelegen hatte. In dieser Geste lag, so kam es meiner Frau vor, Freude, Bewunderung und Neid zugleich.
Deng Xiaoping hatte während der ganzen Unterhaltung zwischen Mao und mir geschwiegen; fast zwei Stunden lang saß er auf einem Sessel, ohne zu erkennen zu geben, was er von dem Gang des Gesprächs hielt. Aber am nächsten Tag kam er mehrmals auf Mao Zedongs Bemerkungen zurück. Deng und ich hatten schon vor meinem Besuch bei Mao ein ausführliches Gespräch geführt; zudem waren wir bei einem oder zwei Essen zusammengekommen. Dabei hatte Deng mich gebeten, meine Sicht der strategischen und der wirtschaftlichen Weltlage darzulegen; besonders interessierte ihn meine Einschätzung der europäischen Situation.
Schon während des ersten Gesprächs hatte mich Deng durch immer neue Zwischenfragen zu Ergänzungen und Exkursen genötigt, so daß ich wahrscheinlich anderthalb Stunden gesprochen habe. Deng hatte sich, so schien es mir, erst einmal ein Bild von mir machen wollen, bevor er sich selber äußerte. Ich hatte keine Bedenken gehabt, auf dieses Spiel einzugehen; um so ausführlicher würde Deng in der zweiten Gesprächsrunde antworten müssen. Im nachhinein verstand ich, daß er die Unterhaltung mit Mao hatte abwarten wollen. Als wir uns einige Tage später zu unserem zweiten Meinungsaustausch trafen, war es an ihm, das Wort zu führen. Tatsächlich sprach Deng dann genausolang, und diesmal war ich es, der die Zwischenfragen stellte.
Wenn sich Deng darauf beschränkte, die Worte Maos zu zitieren, war mir unklar, ob sie tatsächlich seine eigene Meinung
ausdrückten oder ob er mit seiner Ansicht zurückhielt und sich sozusagen hinter Mao versteckte. Außer Deng waren der Außenminister und mehr als ein halbes Dutzend chinesischer Funktionäre anwesend, so daß er davon ausgehen mußte, jede Abweichung, und war sie noch so nuanciert, würde seinen Gegnern berichtet werden, also jener Gruppe, die später zur sogenannten Viererbande gezählt wurde.
Gleichwohl sprach Deng entschieden und
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