Menschen und Maechte
chinesischem Boden einzurichten. Seitdem hätten sich, auch auf Grund der inzwischen aufgebrochenen ideologischen Auseinandersetzungen die Beziehungen zwischen Moskau und Beijing sehr verschlechtert.
Wenn man sich einmal theoretisch mögliche Operationsziele der Sowjets vorstelle, dann käme in erster Linie die Mandschurei in Frage, sodann ganz Nordostchina, eventuell Beijing selbst, vielleicht sogar das ganze Territorium bis zum Jangtse-Fluß. Im übrigen seien die sowjetischen Streitkräfte an der chinesischen Grenze natürlich nicht bloß gegen China einsetzbar, sondern auch gegen Japan und andere ostasiatische Staaten. Bedrohten sie etwa nicht auch die amerikanischen Stützpunkte in Ost- und Südostasien? Und die russischen Raketen bedrohten sogar die USA selbst.
Ohne sich zu erregen, ganz unpolemisch, eigentlich nur konstatierend stellte Deng fest: »Aber China fürchtet sich nicht vor der Sowjetunion. Unser Land ist vorbereitet. Und schließlich sind eine Million sowjetischer Soldaten entlang einer 7000 Kilometer langen Grenze nicht sehr viel; für einen Angriff auf China müßte die Sowjetunion mindestens zwei weitere Millionen aus dem Westen des Landes heranführen. Ein solcher Krieg würde sicher zwanzig Jahre und länger dauern. Wir haben keine Angst.« Als ich ihn fragte, ob er einen Nuklearschlag der Sowjetunion gegen China für denkbar halte, antwortete Deng ganz ruhig: »Das würde grundsätzlich nichts ändern! China würde auch das überleben.« Im weiteren Verlauf meiner Reise konnte ich jedoch spüren, daß mancher Chinese sich durchaus Sorgen über einen nuklear geführten Krieg machte.
Gegen Ende unseres Gesprächs kam Deng auf die USA zurück. Er redete noch einmal von der übergroßen Vielfalt ihrer Beistandsverpflichtungen.
Dann ging er auf das Verhältnis Washingtons zu Europa ein. Ob wir sicher seien, daß die USA Europa wirklich verteidigen würden? Auch dann, wenn es »nur« um Jugoslawien oder Skandinavien gehe? Es sei doch denkbar, daß die Amerikaner sich verhielten wie 1940 die Engländer bei Dünkirchen und ihre Verbündeten sich selbst überließen.
Deng erzählte, daß er das auch Kissinger vorgehalten habe; der habe dazu gesagt, wie sich die USA verhielten, hänge entscheidend von dem Verhalten der Europäer ab. Deng hatte das offenbar eingeleuchtet. Es müsse eine stabile Bündnispartnerschaft zwischen Europa und den USA geben; deshalb habe China keinerlei Einwände gegen die Anwesenheit amerikanischer Streitkräfte in Europa. Aber man habe Zweifel an der amerikanischen »Beschwichtigungspolitik«; das Beispiel der Helsinki-Konferenz sei sehr bedenklich. Jedenfalls müsse Westeuropa darauf vorbereitet sein, sich notfalls allein zu verteidigen. Und deshalb müsse Europa sich politisch vereinigen. Ich sagte dazu einigermaßen kühl, die Einigung Europas habe Bonn schon zu einer Zeit gefordert und auch gefördert, als Beijing sie noch – gemeinsam mit Moskau – entschieden bekämpft habe. Was aber unsere Verteidigungsfähigkeit anlange, so leisteten wir Deutschen dazu einen militärischen Beitrag, der nicht nur von unseren Freunden hoch bewertet werde. Ich fügte hinzu, wahrscheinlich verstehe die chinesische Führung auf Grund ihrer jahrzehntelangen Erfahrungen mit der Sowjetunion von Moskau mehr als wir; es sei für sie aber auch wichtig, mehr von Europa zu wissen, und deshalb lüde ich ihn zum Gegenbesuch ein. Beijing solle allerdings auch mit den USA engere Kontakte unterhalten; Gerald Ford und Henry Kissinger seien starke und zuverlässige Männer, die durchaus auch Kritik vertrügen.
Plötzlich sagte Deng fast unvermittelt und sehr lapidar: »Wir unterstützen die Wiedervereinigung Deutschlands.« China sehe die deutsche Teilung aus der Erfahrung der geteilten Länder in der eigenen Hemisphäre; man wolle die Wiedervereinigung für Deutschland ebenso wie für Vietnam, Korea und China (womit Taiwan gemeint war). Alle diese Wiedervereinigungsprobleme könnten nicht in fünf oder zehn Jahren gelöst werden, vielleicht aber brauche
es doch nicht ein Jahrhundert dazu. Diese Perspektive war in meinen Augen realistisch; und natürlich war mir Dengs erster Satz sympathisch. Ich habe ihm für das klare Wort herzlich gedankt.
Dengs Ausführungen zur weltwirtschaftlichen Lage blieben erstens sehr ideologisch und zweitens auffällig vage. Er beschränkte sich im wesentlichen auf die rhetorische Begründung der Notwendigkeit einer»neuen Weltwirtschaftsordnung«, wie sie damals in
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