Menschen und Maechte
kraftvoll. Dabei rauchte er, fast ohne Unterbrechung, eine Zigarette nach der anderen und machte von dem mehr als einen Meter entfernten Spucknapf artistischen Gebrauch; das ging geräuschvoll, anscheinend auch genußvoll vor sich. Die ständige Zigarette war keineswegs Ausdruck von Nervosität; offensichtlich war er ganz einfach nikotinsüchtig. Ich schätzte seinen Tagesverbrauch auf zumindest drei Päckchen. Ich kannte mich darin aus, denn ich rauchte selber genausoviel.
Mir ist es immer sympathisch gewesen, wenn Personen an der Spitze der Staaten ihre Selbstdisziplin nicht so weit trieben, daß keine menschlichen Schwächen mehr erkennbar blieben. Deng rauchte, als ich ihn ein Jahrzehnt später, 1984, in Beijing wieder traf, noch genauso viele Zigaretten wie damals. Er hatte sich überhaupt wenig verändert, nur daß er noch souveräner wirkte. Aber schon damals, 1975, war er eine imponierende Erscheinung, trotz seiner geringen Körpergröße.
Dengs Vortrag, anderthalb Stunden lang, war klar gegliedert. Zunächst erläuterte er Maos Bemerkung über die Unvermeidlichkeit eines neuen Krieges. Sie liege in der Entwicklung des »sozialimperialistischen Gesellschaftssystems« in der Sowjetunion. Das gewaltige Wachstum des militärischen und wirtschaftlichen Potentials habe Moskaus Begehrlichkeit geweckt; es habe zu einem Streben nach Welthegemonie geführt. Breschnews Außenpolitik sei in Wirklichkeit abenteuerlicher als diejenige Chruschtschows, zumal er über ein sehr viel größeres militärisches Potential verfüge als sein Vorgänger.
Als Deng zum Schluß gekommen war, erwiderte ich, er wie auch Mao brauchten uns solche Befürchtungen hinsichtlich der
Sowjetunion nicht bewußt zu machen; die Deutschen vergäßen nicht, daß die Sowjetunion unser Land geteilt halte. Dennoch hätten wir keine Angst, angegriffen zu werden; die NATO stehe zur Verteidigung Europas bereit, und ihre Leistungsfähigkeit sei eindrucksvoll. Schließlich wisse die Sowjetunion, was auch Mao gestern festgestellt habe: Im Zweifel siegt am Ende selten der Angreifer, meist der Verteidiger.
Wir vermochten einander in der Beurteilung des sowjetischen Expansionswillens nicht zu überzeugen, und wir wollten das wohl auch nicht. Deng sagte, die Chinesen glaubten nicht an die Aufrechterhaltung eines Rüstungsgleichgewichts über ein, zwei oder drei Jahrzehnte. Schon durch das Teststoppabkommen 1963, durch SALT I 1972 und durch Wladiwostok 1974 – das Treffen Breschnews mit Ford zur weitgehenden Vorbereitung von SALT II – habe Moskau den amerikanischen Vorsprung aufgeholt; auf einigen Gebieten sei die Sowjetunion bereits überlegen. Vor wenigen Tagen hätten Mao und er zu Henry Kissinger – der damals Außenminister unter Ford war – dasselbe gesagt. Das Wettrüsten werde weitergehen, und es werde kein Gleichgewicht geben. Wie Mao gestern betont habe: Ob der Krieg in zehn Jahren oder in dreißig Jahren komme – die Ursache des Krieges werde immer die Sowjetunion sein.
Deng hielt sich ganz auf der Linie von Mao. Interessant war jedoch eine Passage über die Art der Kriegführung. Ein Krieg mit konventionellen Waffen sei viel wahrscheinlicher als der nukleare Schlagabtausch. Dies ergebe sich einerseits aus dem nuklearen Patt der beiden Supermächte, vor allem aber aus den Zielen des kommenden Krieges: Länder zu besetzen, Völker zu kontrollieren und Rohstoffe zu erlangen. Dies alles sei mit einer vorausgegangenen nuklearen Zerstörung nicht zu vereinbaren. Die konventionellen Streitkräfte der Bundesrepublik Deutschland seien deshalb besonders wichtig.
In Dengs Lagebeurteilung spielte die sowjetische Pazifikflotte offenbar eine große Rolle; sie sei schon dreimal so stark wie die 7. US-Flotte. Andererseits habe sich die politische Lage in Asien für die USA günstig entwickelt, seit sie aus Vietnam abgezogen seien. Japan stehe allerdings unverändert unter sowjetischem Druck.
Sehr ausführlich erörterte Deng die sowjetische Bedrohung Chinas. Ein direkter sowjetischer Angriff auf China sei nicht zu befürchten, denn die Sowjets könnten ja allenfalls die großen Städte, nicht aber das riesige Land besetzen; den Fehler Hitlers werde kein Russe machen. Moskau erstrebe vielmehr eine politische Kontrolle über China. Schon 1958 hätte der Kreml mit dem Vorschlag eines vereinigten sowjetisch-chinesischen Flottenkommandos Chinas Küsten unter seine Kontrolle bringen wollen, denn das hätte auch bedeutet, sowjetische Stützpunkte auf
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