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Menschen und Maechte

Menschen und Maechte

Titel: Menschen und Maechte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Schmidt
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allen Entwicklungsländern an der Tagesordnung war. Auf ökonomischem Felde war Deng ein bloß zuhörender Gesprächspartner; was er selber sagte, ging über plakative Äußerungen nicht hinaus. Auch ein Jahrzehnt später, als China ganz im Zeichen der binnenwirtschaftlichen Reform und der außenwirtschaftlichen Öffnung stand, war seine Kenntnis der wirtschaftlichen Zusammenhänge offenbar noch immer recht allgemein und jedenfalls nicht zu vergleichen mit seiner Prägnanz in strategischen Fragen.
    Wenn man vier große Essen mitrechnet, bei denen wir uns ebenfalls ausführlich unterhalten konnten, hatten Deng und ich über acht oder zehn Stunden einen sehr persönlichen Meinungsaustausch. Ich gewann den Eindruck, daß auch Deng diese Zeit sehr nützlich angewandt erschien.
    Wenn ich meine damaligen Eindrücke zusammenfasse, so schien mir Maos weltpolitisches Bild noch immer auf Moskau fixiert zu sein, obwohl das Zerwürfnis schon fast zwei Jahrzehnte zurücklag. Die chinesische Führung hatte ganz offensichtlich erhebliche Besorgnisse im Blick auf die potentielle militärische Bedrohung aus dem Norden, aber sie verbarg sie hinter Stolz, Mißtrauen und Verachtung. Da ich andererseits die sowjetische Furcht vor den wachsenden Menschenmassen in China kannte – die Bevölkerung beider Reiche steht zueinander im Verhältnis von 1:4, wie mir Breschnew und Gromyko mehrfach besorgt auseinandergesetzt hatten –, so war und ist die Möglichkeit eines Krieges zwischen den beiden Riesenreichen in der Tat nicht völlig auszuschließen. Mir schien ein Krieg der Giganten dennoch sehr unwahrscheinlich. Aus den Gesprächen in Beijing hatte ich zugleich den Eindruck gewonnen, daß die chinesische Führung im Augenblick ganz andere Sorgen hatte; sie war im wesentlichen auf die Innenpolitik und nicht
auf die Außenpolitik konzentriert. Dennoch vernachlässigte sie die große Strategie keineswegs.
    Mao und Deng schienen mir zu der Auffassung gekommen zu sein, daß China allein, nur auf die eigene Kraft gestützt, nicht in der Lage sei, Moskaus Streben nach der Weltherrschaft, von dem sie wohl wirklich überzeugt waren, wirkungsvoll genug entgegenzutreten; deshalb setzte man in Beijing auf die USA und auf Europa. Ganz unverkennbar richtete sich die Kritik an den USA nicht darauf, daß die Amerikaner zu stark, sondern umgekehrt darauf, daß sie in den chinesischen Augen nicht mächtig genug waren.
    Wenn aus China Parolen gegen den »Hegemonismus« der Supermächte laut wurden, so sollte das immer so klingen, als seien sowohl die Sowjetunion als auch die USA gemeint. Aber das war lediglich auf die Öffentlichkeit in China und in der Dritten Welt gemünzt; in Wahrheit hatte man ausschließlich die Sowjetunion im Auge. Beijings Interesse an Bonn beruhte anscheinend darauf, daß man Westeuropa als den entscheidenden Faktor ansah und innerhalb Europas der Bundesrepublik das größte wirtschaftliche und militärische Potential zusprach. Auch traute man Bonn wohl größeren politischen Einfluß auf Washington zu als Paris, Rom oder London. Daß man uns gern in eine stärkere Konfrontation mit Moskau hineinmanövriert hätte, war offenkundig; aber unseren chinesischen Gesprächspartnern war wohl klargeworden, daß wir uns auf dieses Spiel nicht einlassen würden. Die Sowjetunion war für Beijing eindeutig der Hauptgegner – aus historischen, geographischen, militärischen und ideologischen Gründen.
    Die innere Situation Chinas dagegen blieb sehr unklar. Die Eindrücke dieser Tage in Beijing waren vielfältig und widersprachen einander. Die Monotonie, mit der »Maos Denken« nachgebetet wurde, war überwältigend. Diese plakative Akklamation des großen Führers provozierte geradezu die Frage: Warum ist das nötig? Was denken die Menschen selbst? Angesichts der Jahrtausende chinesischer Geschichte und Kultur, jener Blüte von Philosophie, Wissenschaft und Literatur schien es mir unvorstellbar, daß die Chinesen das alles aufgegeben haben sollten zugunsten einiger weniger Schwarzweißklischees, die formelhaft wiederholt wurden.

    Mao selber hatte mich sehr beeindruckt. Als ich ihm gegenübersaß, mußte ich daran denken, daß er als Führer der Revolution für die Zukunft Chinas eine ähnlich geschichtsträchtige Bedeutung hatte wie Lenin für die Sowjetunion. Aber die russische Führungsschicht, mit der Lenin es zu tun gehabt hatte, war schmal gewesen. Vielleicht war die gebildete Schicht in China proportional auch nicht breiter gewesen, aber

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