Menschen und Maechte
Deng Xiaoping und Zhao Ziyang heute unternehmen, ist aber Reform. Sie will Innovation und Effizienz innerhalb des Kommunismus. Es ist ein grobes Mißverständnis, sie als ein Verlangen nach Überwindung des Kommunismus zu deuten. Es erscheint mir als schwärmerische Eselei, wenn gutmeinende westliche Politiker und Kommentatoren auf eine Entwicklung in Richtung westlicher Freiheitsvorstellungen bauen. Die Eigentumsfrage wird prinzipiell keineswegs aufgeworfen, und schon gar nicht soll die oberste Herrschaft der Partei aufgegeben werden. Nichts haben die Reformer
weniger im Sinn als pluralistische Demokratie, allgemeine Meinungsfreiheit oder politische Freiheit der Person.
Allerdings soll es keine Parteidespotie mehr geben, man will nach den Wirren der letzten Jahrzehnte endlich Recht und Gesetzlichkeit. Wenn die Reform für die Massen später so etwas wie Wohlstand chinesischen Zuschnitts bringen sollte, so kann es in ihrem Gefolge immerhin zu größerer Öffnung auch im Geistigen kommen. Vielleicht wird man sich dann des kulturellen Zusammenhangs der Jahrtausende chinesischer Geschichte wieder voll bewußt. Der eigenen nationalen und geschichtlichen Wurzeln sich bewußt sein zu wollen, entspricht einem menschlichen Bedürfnis. Sogar Stalin hat schließlich diese Notwendigkeit verstanden und hat ihr entsprochen, um den Verteidigungswillen gegen Hitler zu stärken.
In China aber steht einstweilen noch die Entwicklung der Wirtschaft des Landes im Vordergrund. Und der Erfolg der Reform hängt entscheidend von Deng Xiaoping ab.
Deng Xiaoping
Bei allen privaten Gesprächen, auch und gerade außerhalb der Hauptstadt, wurde uns 1984 fast beklemmend greifbar, auf wen jedermann seine Hoffnung auf eine Besserung der Lebensumstände setzte: in erster Linie auf Deng, in zweiter Linie auf Deng und in dritter Linie wiederum auf Deng. Er selbst treibt keinen Personenkult, er verachtet ihn wahrscheinlich; aber er benötigt ihn auch nicht für seine Politik, denn er ist über die Maßen populär. Alle Erwartungen fixieren sich auf ihn.
Deng empfing mich in der Großen Halle des Volkes, am gleichen Ort wie neun Jahre zuvor. Er war kurz vorher, am 28. August, achtzig Jahre alt geworden, aber er machte einen physisch und psychisch ausgezeichneten, geradezu vitalen Eindruck. Er war schlagfertig, humorvoll, in jeder Phase des Gesprächs kompetent und präsent. Fast die ganze Zeit saßen wir – gemeinsam mit einem kleinen Kreise chinesischer und deutscher Gäste, die an anderen
Tischen Platz genommen hatten – zu zweit bei einem ausgedehnten Mittagsmahl. Nur Dengs ausgezeichnete Englisch-Dolmetscherin saß neben uns; sie mußte für Deng sehr laut sprechen, was mir gut zustatten kam.
Nach den einleitenden Begrüßungsformeln bedankte ich mich für die Einladung nach China, die er selber veranlaßt hatte, und machte ihm ein Kompliment zu seinem runden Geburtstag und seiner offensichtlich blendenden Gesundheit. Deng erinnerte an unser Gespräch vor neun Jahren; dann kam er auf seinen Geburtstag zurück: »Ach, wissen Sie, was das Alter angeht: Überalterung war immer ein Problem der chinesischen Führung, übrigens auch der sowjetischen. Aber in zehn bis zwanzig Jahren wird China über jüngere Führungskräfte verfügen, und wir sehen sehr genau, daß wir für die Modernisierung Chinas jüngere und dynamischere Führer benötigen. Es sind sehr komplizierte Probleme zu lösen.
Sie erinnern sich also noch an unser Gespräch im Jahre 1975. Kurz darauf wurde ich niedergemacht.« – »Sie sind aber wiedergekommen«, entgegnete ich, »zum Glück für Sie und vor allem für China. Wie viele Male sind Sie eigentlich gestürzt worden?« Deng schmunzelnd: »Damals war es das dritte Mal! Aber es wird wohl das letzte Mal gewesen sein.«
Dann wurde er ernsthaft und kam schnell zur Sache. »Unsere Außenpolitik sollte noch entschiedener die Unabhängigkeit von den Supermächten zum Ziel haben. Das gilt auch für Ihr Land. Es ist natürlich nichts dagegen einzuwenden, daß Westeuropa ein Teil des Nordatlantischen Bündnisses ist, aber Sie dürfen eine unabhängige Strategie für Deutschland nicht aus den Augen verlieren. De Gaulle hatte das begriffen. Die Beziehungen Europas zu den USA sollten auf der Grundlage vollkommener Gleichheit beruhen.«
In diesem Punkte jedenfalls hatte Deng seine Meinung im letzten Jahrzehnt nicht geändert. Ich gab zu, die weltwirtschaftlichen Umbrüche seit 1974 hätten die europäischen Mächte so tief getroffen,
Weitere Kostenlose Bücher