Menschen und Maechte
sie ihre Schwierigkeiten, weil der Weltmarkt ihre Produkte nicht abnimmt. Auch wir wollen Kredite, um unsere Ressourcen zu erschließen, aber wir werden in der Kreditaufnahme maßvoll sein. Wir werden sehr darauf achten, daß Güteimport und -export in der Balance bleiben.«
Es war ein langes und zumindest für mich ein sehr informatives Gespräch. Wenn ich meine am gleichen Abend niedergeschriebenen Notizen heute lese, denke ich, es könnte vielleicht so aussehen, als habe Zhao Ziyang nur fundamentale Einsichten vorgetragen, die sich von selbst verstehen. Doch dagegen stehen zwei Argumente: Zum einen war angesichts der ausschließlich zwangswirtschaftlichen
Lebenserfahrung dieses Mannes sein marktwirtschaftlicher Instinkt stupend; seine offenbar doch nur innerhalb Chinas erworbenen Einsichten in weltwirtschaftliche Zusammenhänge verblüfften mich geradezu. Zum anderen habe ich – außer Valéry Giscard d’Estaing und Raymond Barre – in meiner ganzen Zeit als Minister oder als Kanzler nie einen Regierungschef getroffen, der über die Situation seiner eigenen Volkswirtschaft ein derart sicheres, detailliert begründetes und plausibles Urteil hatte.
Vier Tage später war ich ein zweites Mal mit Zhao zusammen, diesmal als Ehrengast anläßlich des Festmahls in der Großen Halle des Volkes zur Feier des 35. Jahrestages der Gründung der Volksrepublik China. Als wir nach den offiziellen Reden und Trinksprüchen zu einem privaten Gespräch kamen, begann er abermals von der bevorstehenden ökonomischen Reform zu reden. »Wir werden unsere Anstrengungen auf die Entwicklung unserer Produktivkräfte konzentrieren, und Sie werden sehen, daß es uns gelingt, das materielle und kulturelle Wohlergehen des Volkes stetig zu verbessern. Wir werden diese Entschlossenheit niemals aufgeben, es sei denn im Falle einer großangelegten feindlichen Invasion. Seien Sie sicher, China wird sich niemals ausländischem Druck unterwerfen.«
Mir hat dieser Mann imponiert und zugleich gefallen. Beim Abschied nannte er mich einen alten Freund Chinas, und ich freute mich, ihm sagen zu können: »Die deutsche Politik Ihrem Lande gegenüber wird unter meinem Amtsnachfolger unverändert bleiben.« Abends tauschten meine Frau, meine Begleiter – darunter Theo Sommer, Chefredakteur der »Zeit«, und Gyula Trebitsch – und ich unsere Eindrücke aus. Uns allen kam es so vor, als sei das Ziel der neuen Führungsmannschaft, vom Jahre 1980 bis zum Jahre 2000 die landwirtschaftliche wie die industrielle Produktion zu vervierfachen, durchaus erreichbar – selbst wenn die Strukturreform der Industrie wesentlich größere Schwierigkeiten bereiten sollte; dafür sprachen allein die seit 1979 schon erreichten Wachstumsraten. Sofern die Reform voll zum Zuge kommt, könnte das Ziel sogar übertroffen werden.
Aber das alles ist eine ungeheure Aufgabe. Die Reform, die sich China vorgenommen hat, übertrifft in ihrer Kompliziertheit bei
weitem die staatsmännische Großtat Ludwig Erhards, als dieser sich 1948 angesichts eines beginnenden Güterangebots durch den Marshallplan und angesichts der Beschränkung monetärer Nachfrage durch die DM-Währungsreform für den Durchbruch von der Zwangswirtschaft zur Marktwirtschaft entschloß und dies erstaunlicherweise, zum Teil gegen Widerstände in seiner eigenen Partei, auch tatsächlich durchsetzte und verwirklichte. In Deutschland gab es damals ja Millionen von Unternehmern, Handwerksmeistern, Bauern, Arbeitern, Politikern und Journalisten, die ihre Erfahrungen mit einem hochintegrierten marktwirtschaftlichen System gemacht hatten und die daher wußten, wie man darin zum eigenen und zum allgemeinen Vorteil agieren kann.
Im heutigen China gibt es nicht sehr viele Menschen mit derartiger Erfahrung; jene Chinesen, die längere Zeit im Ausland gelebt haben, sind eine Ausnahme. Selbst bei den treibenden Führungspersonen der Reform ist mir zweifelhaft, ob sie die Gründe und Hintergründe für den enormen wirtschaftlichen Erfolg der beiden von Chinesen betriebenen Stadtstaaten Singapur und Hongkong voll erfassen. Was Intelligenz und Fleiß angeht, darf man Zhao Ziyang mit Lee Kuan Yew, dem ungemein erfolgreichen Regenten Singapurs, sehr wohl vergleichen; aber was Lee und seine Leute an weltweiter Erfahrung gesammelt und mit Hilfe eigener Erfindungsgabe verarbeitet haben, muß Zhao durch Imagination ersetzen.
Dabei trifft Zhao auf objektive und subjektive Schwierigkeiten. Zum einen gibt es ein enormes wirtschaftliches
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