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Menschen und Maechte

Menschen und Maechte

Titel: Menschen und Maechte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Schmidt
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Ministerpräsidenten Tichonow und des Außenministers Gromyko gehabt, und dabei hatte sich gezeigt, daß mein Gefühl mich nicht getrogen hatte. Vor unserer Abreise nach Moskau hatte Genscher überdies publizistische Aktivitäten in der Berlin-Frage entfaltet, die Moskau ärgern mußten. Die »Rheinische
Post« hatte ihn daraufhin als »das deutsche Mark im Rückgrat von Schmidt« apostrophiert; ich hatte das kommentarlos hingenommen. Nun aber war die Sache in Moskau auszubaden – und dies gelang Genscher nicht; denn Gromyko konnte noch pingeliger sein als sein deutscher Kollege.
    Dem vergeblichen Einigungsversuch der beiden Außenminister war am Vormittag des zweiten Verhandlungstages ein vor allem Berlin betreffendes Gespräch zu fünft vorausgegangen: Breschnew, Kossygin, Gromyko sowie Genscher und ich. Breschnew wurde unwillig, als das Berlin-Thema zur Sprache kam, und wollte es sogleich an die Außenminister überweisen. Einstweilen aber hielt ich an dem Thema fest und sagte, ich hätte nach meinem Amtsantritt als Bundeskanzler die Vorgeschichte des Viermächteabkommens noch genauer studiert als seinerzeit als Kabinettsmitglied. Für mich stelle das Abkommen heute einen noch kunstvolleren Kompromiß dar, als ich ursprünglich geglaubt hätte. Die Kunst des Abkommens bestehe vor allem in den Auslassungen; so sage zum Beispiel die Überschrift gar nicht, wovon man eigentlich spreche. Auch der Text des Abkommens lasse viele Fragen offen. Insofern könne das Abkommen, das doch einen großen Schritt vorwärts darstelle, auch die Quelle von Mißverständnissen sein, wenn man nicht aufpasse. Die Errichtung des Bundesumweltamtes habe zum Beispiel ein solches Mißverständnis ausgelöst. Bonn glaube, in voller Übereinstimmung mit dem Abkommen gehandelt zu haben, während Moskau – seiner eigenen Interpretation des Abkommens folgend – uns unterstelle, wir wollten mit Hilfe jenes Amtes das Abkommen ausdehnen oder überschreiten. Dies sei aber keineswegs der Fall.
    Gromyko habe jüngst in Bonn gesagt, Berlin sei für die Sowjetunion weder der Mittelpunkt der Welt noch ihr wichtigstes Problem. Dem sei nicht zu widersprechen; aber für uns seien Berlin und unsere Bindung an Berlin ein zentrales Thema. Jetzt hoffte ich zuversichtlich, beide Seiten würden sich auf eine langfristige wirtschaftliche Zusammenarbeit einigen können; aber wir brauchten dafür die Zustimmung unserer öffentlichen Meinung, und diese werde psychologisch schwer belastet durch so kleine Nadelstiche wie die unnötige Erschwerung der Besuche von Rentnern, die im
anderen Teil der Stadt Kinder und Enkel hätten. Auch die Untersuchung des Spionagefalles Guillaume mache noch immer täglich Schlagzeilen.
    Wenn das Viermächteabkommen und der Grundlagenvertrag mit der DDR nicht fruchtbar gemacht würden, könne auch der Moskauer Vertrag nicht produktiv wirken. Unsere öffentliche Meinung verstehe alle drei Verträge unter dem vereinfachenden Stichwort »Ostpolitik« als einen einheitlichen Komplex: »Wir gehen von dem festen Vorsatz aus, alle drei Verträge strikt einzuhalten, das Vereinbarte aber auch anzuwenden. Wenn es so scheinen muß, als ob auf sowjetischer Seite das Mißtrauen bestehe, wir wollten die Verträge überdehnen …« – »Ja, extensiv anwenden und überdehnen«, rief Gromyko dazwischen. Ich fuhr fort: »Ich kann solches Mißtrauen verstehen, halte es aber nicht für gerechtfertigt. Bei uns gibt es auch ein Mißtrauen, nämlich, daß die Sowjetunion die Verträge einschränken will.« Ich gab dazu Hinweise, zum Beispiel die Tatsache, daß die sowjetische Seite verlange, unsere Touristikvertretung in der Sowjetunion dürfe nicht für die Berliner zuständig sein.
    Ich verwies auf die längst ausgehandelten Abkommen über die wissenschaftlich-technische Zusammenarbeit, den kulturellen Austausch und die Rechtshilfe, die seit Jahresfrist an der Frage der Einbeziehung West-Berlins hängenblieben. Genscher und ich hätten zu Hause öffentlich gesagt, wir erwarteten nicht, daß diese Abkommen während unseres Besuchs unterschrieben würden, weil wir Enttäuschungen nicht gebrauchen könnten. Es sei auch kein Unglück, wenn die bekannten Positionen unverändert bestehenblieben. Jeder Fortschritt aber würde das Vertrauen in die Tragfähigkeit der Verträge stärken. »Herr Genscher und ich sind nicht gekommen, um etwas zu erbitten.« Wohl aber hofften wir auf Verständnis, daß eine Verabredung über eine grundlegende Ausweitung und Vertiefung

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