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Menschen und Maechte

Menschen und Maechte

Titel: Menschen und Maechte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Schmidt
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wichtige prinzipielle Mitteilung gemacht, die mich und meine Kollegen mit Befriedigung erfüllt.« Zuvor hatte ich Strauß in Schutz genommen: »Ich bin nicht sein Freund; aber man tut ihm unrecht, wenn man ihm Revanchismus unterstellt.«
Breschnew war nicht darauf eingegangen, aber offenbar hatte ihm meine selbstverständliche Solidarität imponiert – wenn er sie vielleicht auch nicht ganz verstand.
    Breschnews Bemerkungen zu einer zukünftigen wirtschaftlichen Zusammenarbeit stimmte ich zu – mit ausführlichen Ergänzungen. Zwei Staaten, sagte ich, die wirtschaftlich voneinander abhingen, führten keinen Krieg gegeneinander. Die wirtschaftliche Zusammenarbeit, für die ich zu Hause immer wieder werbend einträte, diene also dem Frieden. Natürlich könne sie nur dann funktionieren, wenn sie auf gegenseitigem Nutzen gegründet sei. (Hier unterbrach mich Breschnew und stimmte ausdrücklich zu.) Ich wies auf die Schwierigkeiten hin, die sich aus den unterschiedlichen Strukturen beider Volkswirtschaften ergäben – einerseits eine Staatswirtschaft, andererseits eine Unzahl großer und mittlerer privater Unternehmungen –; die Technik der Kooperation zwischen zwei derartig verschiedenen Partnern bedürfe großer Sorgfalt.
    Ich schloß mit der Bemerkung, es gebe neben den wirtschaftlichen noch andere bilaterale Themen, und es scheine mir schwierig zu sein, wirtschaftlich erfolgreich voranzukommen, wenn es auf anderem Felde einen Stillstand gebe. Das zielte natürlich auf die Meinungsverschiedenheiten hinsichtlich der Auslegung des Viermächteabkommens über Berlin. Ich wurde verstanden; schon eine Stunde später kam Breschnew in seiner Tischrede darauf zurück: »Strikte Einhaltung – eben das braucht man, damit die West-Berlin-Frage völlig aufhört, die politische Atmosphäre im Zentrum Europas zu verdüstern.« Dieser kurze Satz schien mir ein Überrumpelungsversuch der Redakteure von Breschnews Manuskript zu sein, und ich sah mich veranlaßt, in meiner Erwiderung zu improvisieren: »Vor eineinhalb Jahren haben Sie in Bonn zusammen mit Willy Brandt die strikte Einhaltung und volle Anwendung des Viermächteabkommens über Berlin vereinbart. Dies ist nach wie vor unsere Meinung.« Breschnews Worte »strikte Einhaltung« formulierten nur das sowjetische Interesse, die fehlenden Worte »volle Anwendung« stellten dagegen das deutsche Interesse dar.
    Am anderen Tag zeigte sich sowohl in der Konferenz der beiden Außenminister als auch im wirtschaftspolitischen Gespräch
zwischen Ministerpräsident Kossygin und mir, daß Moskau die vom Bundestag gesetzlich beschlossene Errichtung eines Bundesamtes für Umweltschutz in West-Berlin nicht nur als einen Verstoß gegen die »strikte Einhaltung« und damit gegen das Abkommen bewertete, sondern auch nicht gewillt war, diesen Verstoß hinzunehmen. Tatsächlich hat Moskau jahrelang den Abschluß mehrerer fertig ausgehandelter Vereinbarungen wegen strittiger Formulierungen über die Einbeziehung West-Berlins verzögert.
    Die Vorgeschichte der Gründung jenes Bundesamtes war in der Tat unglücklich verlaufen. Mein Amtsvorgänger hatte den Gesetzentwurf im guten Glauben an dessen Vereinbarkeit mit dem Viermächteabkommen einbringen lassen; zudem hatte er von den drei westlichen Signatarstaaten entsprechende Interpretationen erhalten. Brandt sah allerdings voraus, daß Moskau protestieren würde. Als ich ihm Mitte Mai 1974 im Amt nachfolgte, hätte ich technisch gesehen die Entscheidung für Berlin als Sitz des Amtes zwar noch revidieren können, aber ich hätte mir damit im Bundestag, in der öffentlichen Meinung, bei den Diplomaten der drei westlichen Signatarmächte wie auch beim Koalitionspartner, dessen Parteivorsitzender zugleich Außenminister war, den Vorwurf eingehandelt, Moskau gegenüber willfähriger zu sein als Brandt – vor allem aber hätte ich Brandt desavouieren müssen. Schon gegen ihn war bereits mehr als einmal der Vorwurf erhoben worden, er sei Moskau gegenüber zu weich. Sollte ich dazu einladen, diesen Vorwurf zu potenzieren? Schließlich hatte Genscher, der ja bis Mitte Mai noch Innenminister gewesen war, von diesem Ressort aus die Errichtung des Amtes in Berlin sehr tatkräftig betrieben. Da ich nach langer Prüfung glaubte, daß wir im Recht seien, ließ ich den Gesetzentwurf durchgehen – wenn auch mit ungutem Gefühl hinsichtlich der sowjetischen Reaktion.
    Im Spätsommer 1974 hatten wir in Bonn den Besuch des damaligen stellvertretenden

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