Menschen und Maechte
Satz aus deutschem Munde zum ersten Mal gehört, während ihnen ansonsten wohl Hunderte von Malen die Gefahr eines deutschen »Revanchismus« suggeriert worden war.
Breschnew eröffnete die Verhandlung mit einer längeren, vorbereiteten Erklärung; sie enthielt gegenüber den vorher ausgetauschten
offiziellen und privaten Briefen nur wenig Neues oder Unerwartetes. Der vor anderthalb Jahren in Kraft getretene Moskauer Vertrag sei für ihn eines der größten geschichtlichen Ereignisse der letzten zwanzig Jahre (das überschritt also bei weitem seine Regierungszeit als Generalsekretär); jetzt komme es darauf an, die Stetigkeit der weiteren Entwicklung der sowjetischdeutschen Beziehungen zu sichern, auch wenn das nur mit kleinen Schritten geschehen könne. Breschnew stellte den Grundlagenvertrag zwischen der Bundesrepublik und der DDR und den beiderseitigen Beitritt zu den Vereinten Nationen – den Bonn auf Grund der Hallstein-Doktrin lange blockiert hatte – in den gleichen Zusammenhang. Dabei unterließ er jede Anspielung sowohl auf den durch die Spionageaffäre ausgelösten Rücktritt Brandts als auch auf die zweifellos auf Moskauer Druck hin kurz zuvor erfolgte Senkung des Mindestumtauschs durch die DDR, der willkürlich erhöht worden war, um westdeutsche und West-Berliner Bürger vom Besuch der DDR abzuschrecken.
Es war erkennbar, daß es über das Verhalten der DDR uns gegenüber Meinungsverschiedenheiten zwischen Moskau und Ost-Berlin gegeben hatte und vielleicht noch immer gab. Breschnew kompensierte seine stumme und doch unüberhörbare Kritik an der DDR mit einem warnenden Hinweis auf gewisse »kriegerische Reden«, die in der Bundesrepublik gehalten würden, und nannte in diesem Zusammenhang namentlich Franz Josef Strauß. Am Schluß seiner Erklärung entwarf er ein Bild von den Möglichkeiten einer sich entfaltenden wirtschaftlichen Kooperation zwischen der Sowjetunion und der Bundesrepublik und sprach vom »Übergang vom klassischen Handel zu größeren Projekten«; dabei dachte er in Zeiträumen von zwanzig bis dreißig Jahren. Breschnews Redeweise war entschieden, aber freundlich. Aus dem Verhalten der Herren Kossygin, Gromyko, Archipow, Patolitschew und dem der übrigen sowjetischen Delegationsmitglieder wurde deutlich, daß man Breschnews Erklärung im Politbüro abgestimmt hatte; sie hörten offensichtlich nichts, was für sie neu gewesen wäre.
Meine Antwort dürfte der Sache nach kaum Überraschendes für die Gastgeber enthalten haben. Ich bezeichnete unsere Beziehungen
zu Moskau als einen »Eckpfeiler unserer Entspannungspolitik«; der Moskauer Vertrag sei als ein Wendepunkt tief in das Bewußtsein der Deutschen eingedrungen, nicht obwohl, sondern gerade weil er eine leidenschaftliche Debatte im Bundestag und schließlich einen Wahlkampf ausgelöst habe. Aber gerade diese Auseinandersetzungen hätten die große Mehrheit des deutschen Volkes von der Richtigkeit des Vertrages überzeugt. Andere Meinungen bei uns dürfe Breschnew »nicht durch ein Vergrößerungsglas betrachten«.
Wir Deutschen, fuhr ich fort, verstünden die Sowjetunion als Großmacht. Die Bundesrepublik sei nur ein mittlerer Staat, der sich »bei einem Angriff von außen allein nicht verteidigen« könne, sondern andere zu seiner Hilfe und zu seinem Schutz brauche. Ich begrüßte, daß Breschnew seine Sorgen bezüglich des Revanchismus ausgesprochen habe – es sei gut, sich gegenseitig offen zu sagen, was man fühle und was man denke. An dieser Stelle unterbrach mich Breschnew: Wenn die Emotion bisweilen mit ihm durchgehe, so habe das seinen natürlichen Grund im Verlust von Millionen Menschen durch den Krieg und in der Zerstörung großer Teile seines Landes. »Der Krieg war keine leichte Sache! Ich habe in diesem Krieg zuviel erlebt! Deshalb berührt mich dieses Problem [des Revanchismus] tief im Gefühl.«
Ich stimmte Breschnew zu, bemerkte aber, auch auf deutscher Seite seien Millionen Menschen ums Leben gekommen, auch bei uns habe es außerordentliche Zerstörungen gegeben, und als Folge des Krieges sei unser Land geteilt worden. Breschnews Erwähnung des Revanchismusproblems gebe mir Anlaß, in aller Offenheit darüber zu sprechen, daß umgekehrt auch bei uns viele Menschen von Mißtrauen und Furcht vor der großen Macht der Sowjetunion erfüllt seien. »Ich selbst habe allerdings weder Angst vor Revanchismus noch vor der Sowjetunion.«
Breschnew unterbrach mich erneut: »Mit diesem Wort haben Sie uns eine sehr
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